Jan Matejko – Stańczyk
- Alexandra Tuschka
- 24. Apr.
- 3 Min. Lesezeit
von Alexandra Tuschka
Warum sitzt dieser Narr so unmotiviert und deprimiert herum? Wieso ist er nicht auf der illustren Feier, die wir doch im rechten Bildrand nur allzu deutlich erkennen können? Sind seine Scherze nicht angekommen? Die Figur, die der polnische Maler Jan Matejko hier im seinem wichtigsten Werk verewigt, ist der Hofnarr Stańczyk. Er war ab 1501 bis zu seinem Tod 1560 am polnischen Hof unter drei verschiedenen Königen beschäftigt. Obwohl wenig über ihn wirklich belegt ist, erlangte er posthum große Bekanntheit durch Autoren wie Łukasz Górnicki, die über ihn schrieben. In diesen Werken finden sich lustige Anekdoten und Zitate. Ob diese wirklich so geäußert wurden, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Auch der deutsche Hofnarr Claus Narr erlebte einen solche Aufwind, da auch über ihn allerhand Geschichten festgehalten wurden. Neben der Funktion Witze zu machen und die starren gesellschaftlichen Regeln zu durchbrechen, war eine Hauptaufgabe dieses Postens auch die Herrscher zu kritisieren. Die noch heute bekannte "Narrenfreiheit" war wörtlich gemeint - alleine der Narr durfte ohne Angst vor Konsequenzen Missstände aussprechen, ja, er durfte es nicht nur - er war dazu angehalten. Fest steht - Stańczyk muss ein besonders raffinierter und wortgewandter Narr gewesen sein.

In diesem Bild ist seine Profession unschwer zu identifzieren. Das Kostüm zeigt die typischen Narrenattribute. Wir sehen die Eselsohren mit Glöckchen und den angedeuteten Hahnenkamm auf dem Kopf. Das restliche Kostüm ist rot. Die sogenannte "Marotte", der Narrenstab, üblicherweise mit dem Gesicht des Trägers, ist kurzerhand vom Narren fallen gelassen worden. Was aber ist ihm hier widerfahren?

Helfen kann uns der gesamte Titel des Werkes. Es heißt vollständig: "Stańczyk während eines Balles am Hofe der Königin Bona nach dem Verlust von Smolensk." Smolensk, eine wichtige Festung im Großfürstentum Litauen, fiel 1514 an das Moskauer Reich. Hier liegt die Botschaft darüber auf dem Tisch in der linken Bildhälfte. Allerdings weist das Bild eine historische Ungenauigkeit auf. Die Datierung, gut zu erkennen, hat der Maler auf das Jahr 1533 gelegt. Zudem nahm die hier erwähnte Bona Sforza d'Aragona erst 1518 ihren Platz an der Seite von Sigismund I. dem Alten ein. Warum diese Ungenauigkeiten geschahen, weiß man heute nicht mehr. Matejko ist selbst ein Maler des 19. Jahrhundert. Das Hauptaugenmerk liegt aber sicher nicht auf zeitlichen Begebenheiten, sondern deutlich auf der emotionalen Regung des Protagonisten. Der polnische Maler drückte in seinen Bildern oft einen Patriotismus ausdrückte, zeigt sein Land, welches hier der politischen Souveränität beraubt wird. Das war zum Entstehungszeitpunkt 1862 ein aktuelles Thema, denn es entstand kurz vor dem Januaraufstand gegen das zaristische Russland.
Und hier im Bild - was machen die Herrschenden? Sie feiern einen Ball. Der Einwand, diese hätten womöglich noch keine Kenntnis der Botschaft und Stańczyk weiß nicht, wie er diese überbringen soll, ist nicht überzeugend, da Narren generell nicht als Briefboten eingesetzt wurden. Vielmehr steht der Narr symbolisch für den Künstler oder Intellektuellen, der das Scheitern der Nation erkennt, aber ohnmächtig bleibt. Indem er dem Narren die Züge seines eigenen Gesichtes verlieh, versah er das Bild mit einer persönlichen Note. Die Figur Stańczyk wurde vom Künstler oft verwendet, hier aber in vielfigurigen Szenen. In diesem Bild Das Licht fällt auf deutlich auf ihn– er ist der einzige im Raum, der ausgeleuchtet ist, während die restlichen Figuren im Halbdunkel bleiben. Das betont seine Isolation und seine innere Erkenntnis. In diesem Zusammenhang wirkt das Rot seines Narrenkostüms fast sakral – es zieht den Blick an und symbolisiert sowohl Leidenschaft als auch Gefahr. Zudem sieht man bei näherem Hinsehen einen Kometen im offenen Fenster - ein deutlicher Vorbote des Unheils.
Matejko macht den Narren zur tragischsten Figur seiner Zeit – zum einzigen, der klar sieht. Das gerade die Figur, die leichte Unterhaltung sorgen soll und das "fröhlich sein" als Hauptaufgabe verkörpert, in einer so traurigen Stimmung zu sehen ist, ist ein spannendes Paradox. Und so stellt das Bild bis heute Fragen, die bis heute aktuell sind: Wer erkennt die Krise? Und wer lacht, obwohl das Haus brennt?
Jan Matejko – Stańczyk
Öl auf Leinwand, 1862, 120 x 88 cm, Nationalmuseum, Warschau
Vogtherr d. J., Heinrich - Der Narr
Buchdruck, um 1540