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William Turner - Das Sklavenschiff

von Alexandra Tuschka


Dieses Bild mit seinen wilden, und für Turner typischen dynamischen Farbauftrag hat noch einen längeren Titel, der uns sogleich Auskunft über das genaue Bildthema gibt: Slavers Throwing Overboard the Dead and Dying – Typhoon Coming On / Sklavenhändler werfen die Toten und Sterbenden über Bord - Ein Taifun wird bald kommen. Mit diesem Bild verweist der englische Maler auf ein reales Ereignis aus dem Jahre 1781. Hier war das englische Sklavenschiff "Zong" von seinem Kurs abgekommen und fälschlicherweise die jamaikanische Küste als die Insel Hispaniola gehalten. In Anbetracht der nahenden Wasser- und Nahrungsnot auf der Weiterfahrt warf die Besatzung an verschiedenen Tagen insgesamt etwa 132 Sklaven ins Meer. Während ursprünglich 442 Sklaven auf dem Schiff untergebracht wurden, waren es nur 17 Besatzungsmitglieder. Die grausame Handlung war auch durch Versicherungsfragen motiviert. Denn da Sklaven als "Ladung" galten, sah man ihre Tötung als sogenannte "Notwurf" juristisch als gerechtfertigt an und die Versicherung musste zahlen. Dreißig Pfund Sterling pro Person, die aus jedwelchen Gründen über Bord ging. Während der Massenmord 1781 nicht viel Aufsehen erregte, wurden diese unmenschlichen Beispiele im Zuge des Abolitionismus wieder zum Aushängeschild. Turner, der bei diesem Ereignis noch ein Kind war, malte dieses Bild 1840, als rund 60 Jahre danach. 1807 hatten die Engländer die Sklaverei endlich verboten. Das Thema blieb aktuell, denn bis sich dieses Verbot durchsetzte, mussten noch einige Sklaven über Bord gehen. Die Royal Navy verfolgte die Sklavenhändler, so dass man sich lieber von der "Fracht" trennte, als mit ihr erwischt zu werden.

Sein hinzugefügter "Taifun" hatte mit dieser Geschichte allerdings wenig zu tun, denn dass die "Zong" vom Weg abkam, war nicht dem Wetter, sondern der Unfähigkeit der Besatzung geschuldet. Diese Einfügung wurde wiederum durch ein Gedicht aus dem 18. Jahrhundert inspiriert, welches ein Sklavenschiff in Not beschreibt. Bei der ersten Ausstellung des Werkes fügte der Maler dem Werk einige eigene poetische Zeilen seines unfertigen und unveröffentlichten Gedichtes "Fallacies of Hope" (1812) hinzu:


"Aloft all hands, strike the top-masts and belay;

Yon angry setting sun and fierce-edged clouds

Declare the Typhon's coming.

Before it sweeps your decks, throw overboard

The dead and dying - ne'er heed their chains

Hope, Hope, fallacious Hope!

Where is thy market now?"


Die Integration dieser Naturgewalt unterstützt die Dramatik der Szene und setzt die Ereignisse in einen imaginären Zusammenhang. Damit steigert er die Dramatik aufs Äußerste und suggeriert eine Dringlichkeit, die einen schaudert lässt.


Die wilden Pinselstriche zusammen mit dem Treiben auf dem Meer erfordern vom Betrachter ein genaues Hinsehen. Im Vordergrund werden die grausamen Details offenbar: wie sehen recht präsent ein bleiches Bein aus dem Wasser hervorragen, sein Fuß ist noch in Fesseln gelegt. Auch können wir noch vage weibliche Brüste erahnen. Fische und Vögel stürzen sich auf den Körper. Von rechts eilt ein überdimensionaler Fisch mit riesigem Maul und Augen herbei. Aus dem Wasser heraus ragen viele Hände, vehement, hilfesuchend aber hilflos. Das bewegte Wasser, die Winde, die sich in den Bildmittelpunkt beugen machen die Szene noch bedrohlicher. Turner hat bewusst eine helle Hautfarbe für die über Bord gegangenen gewählt und machte es seinen Zeitgenossen so leichter, sich zu identifizieren. Die schwimmenden Fesseln waren Kritik allzu phantasieloser Betrachter, da ihnen dies unrealistisch erschien. Einer von ihnen war Mark Twain, den das Bild lange wütend machte, bis er, wie er ironisch anmerkte, Kunst studierte: "Sie [Die Bildung] versöhnt uns mit den Fischen, die oben auf dem Schlamm - ich meine dem Wasser - herumschwimmen. Der größte Teil des Bildes ist eine offensichtliche Unmöglichkeit - das heißt, eine Lüge; und nur eine strenge Kultivierung kann einen Menschen befähigen, die Wahrheit in einer Lüge zu finden." Natürlich war die Wirkung eines realen Eindrucks der Botschaft von Turner untergeordnet: hier gibt es keine Chance zu überleben.


John Ruskin wurde erster Besitzer des Werkes und schwärmte:

“But, I think, the noblest sea that Turner has ever painted, and, if so, the noblest certainly ever painted by man, is that of the Slave Ship, the chief Academy picture of the Exhibition of 1840.(...) I believe, if I were reduced to rest Turner’s immortality upon any single work, I should choose this. Its daring conception – ideal in the highest sense of the word (...) and the whole picture dedicated to the most sublime of subjects and impressions – (completing thus the perfect system of all truth, which we have shown to be formed by Turner’s works) – the power, majesty, and deathfulness of the open, deep, illimitable Sea.”

Personen geborgen.

William Turner - Das Sklavenschiff

Öl auf Leinwand, 1840, 90,8 x 122,6 cm, Museum of Fine Arts, Boston


John Ruskin, Modern Painters, vol. 1 (New York-Chicago: National Library Association, n.d.), 382-3.

Turners Gedicht bei: A. J. Finberg, "The Life of J.M.W. Turner," R.A., 2nd ed., 1961, p. 47


Andrew Walker, “From Private Sermon to Public Masterpiece: J.M.W. Turner’s The Slave Ship in Boston, 1876-1899,” Journal of the Museum of Fine Arts, Boston, vol. 6 (1994): 6-7.


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