von Alexandra Tuschka
Gerade war der alte Priester Zacharias dabei, den nur dämmrig erhellten jüdischen Tempel in Jerusalem zu räuchern, da erscheint ihm plötzlich niemand geringerer als der Erzengel Gabriel. Dessen Zeigegeste gen Himmel unterstreicht die göttliche Herkunft seiner Botschaft. Er teilt dem Hohepriester mit, dass er und seine Frau Elisabeth, die bis ins hohe Alter kinderlos geblieben sind, einen Sohn empfangen werden. Sie sollen ihn "Johannes" nennen (hebr. für "Gott ist gnädig"). Zacharias schaut etwas verdutzt. Sein Rauchgefäß hängt nun unmotiviert herunter. Nur die Rauchwolke verrät uns, dass es eben noch wild bewegt worden ist. Zacharias bittet um ein Zeichen, daraufhin belegt ihn der Engel mit Stummheit, bis der Sohn geboren wird. Dies ist Zeichen und Strafe gleichzeitig, dass Zacharias die Botschaft angezweifelt hatte.

Diese Verkündigungsszene markiert den Beginn der Vita des Johannes des Täufers und ebenso den ersten Erzählzyklus des Neuen Testaments. Daher findet man sie in den im Mittelalter typischen Bilderzyklen noch häufig. Da sich aber die Künstler ab der Renaissance oft auf die Höhepunkte eines Heiligenlebens spezialisierten, setzte sich diese Prophezeiung als eigenständiges Bildthema nicht durch. William Blake malte das Werk zwar um die Jahre 1799 / 1800 herum, also lange nach dem Mittelalter, bildet aber insofern keine Ausnahme, da auch er sich in den beiden Jahren über 50 verschiedenen Bibelszenen widmete. Der Regierungsbeamte Thomas Butts hatte sie in Auftrag gegeben. Von diesen sind ca. 30 erhalten geblieben.

Blake setzt hier die für ihn typischen Farben ein: Rot, blasses Blau und Gold. Er bespickt das Werk mit einigen Details, die verraten, dass er die Bibelszene und deren Ikonografie gut gekannt haben musste. Denn bei Lukas 1,5 - 1,25 wird beschrieben, dass die Szene in einem Tempel spielt, und Zacharias, als treuer Gottesdiener und Priester, das Räucheropfer darbringen musste. Der siebenarmige Leuchter (auch "Menora") links ist typisch für diese Szene und war im Mittelalter ein verbreitetes Ausstattungsmerkmal vieler Kirchen. Fest mit dem Judentum verbunden, verweist er hier auf den jüdischen Tempel, in welchem diese Szene spielt.
Gleich anschließend berichtet Lukas, ab Vers 1,26 von der Prophezeiung der Geburt Jesu an Maria, welches in der Kunst als "Verkündigungsszene" einen festen Stellenwert bekommen hat und zahlreich verbildlicht wurde. Die Parallelen beider Geschichten sind unübersehbar: ein Engel erscheint mit einer Prophezeiung und macht das Unmögliche Möglich. Bei Zacharias und Elisabeth werden zwei Greise Eltern, bei Maria und Josef wird eine Jungfrau schwanger. Während wir den Namen des Engels bei Zacharias kennen, bleibt er bei Marias Verkündigung anonym.
William Blake - Die Verkündigung an Zacharias durch den Engel
Feder und schwarze Tinte, Tempera und Leim auf Leinwand, 1799/ 1800, 26,7 x 38,1 cm, Metropolitan Museum of Art, New York
Sandro Boticelli - Die Verkündigung an Maria
Öl auf Holz, um 1490, 150 x 156 cm, Uffizien, Florenz