von Alexandra Tuschka
Mit einem deutlichen Schlaglicht wird die vordere, grausame Szene fast bühnenhaft beleuchtet: Zwei nackte Männer sind hier in einer dynamischen Bewegung zu sehen. Ein Rothaariger hat sein rechtes Knie in den Rücken des Zweiten gerammt, zieht dabei den linken Arm nach hinten und überstreckt so den Hals, um vehement hineinzubeißen. Der andere versucht sich noch zu wehren, indem er in dessen Haare greift. Das Gesicht verrät eine Mischung aus Schmerz und Ohnmacht. Rechts an dessen Bauch erkennen wir noch, wie vehement sich der Kontrahent in dessen Fleisch gräbt. Es handelt sich hierbei um Capocchio, einen Ketzer und Alchimisten, der von Gianni Schicchi angegriffen wird. Beiden befinden sich im achten Kreis der Hölle, dem der Sünder und des Verrats. Schicchi befindet sich hier, da er sich als Toter ausgegeben hatte, um ein Erbe zu ergaunern.
Nahezu statuesk hingegen finden wir die beiden titelspendenen Figuren vor: Dante und Vergil, die sich im Epos "Die göttliche Komödie" von Dante Alighieri auch durch die neun Kreise der Hölle bewegen. Dies ist hier noch zusätzlich durch eine teufelsartige Figur im Bildmittelpunkt angedeutet sowie die verlorenen Seelen im rechten Hintergrund. Während Vergil erkennbar ist am antiken Gewand und dem Lorbeerzweig der Antike, sehen wir Dante mit einer roten Haube. Vermutlich kannte dieser Capocchio in seiner Jugend persönlich und verarbeitet sein reales Schicksal - die Verdammnis - in seinem Werk. Generell verweist der Autor darauf, in den Verdammten einige Florentiner wiedererkannt zu haben, mit denen er vor seinem Exil im Streit lag. Dies gilt freilich nicht für seinen Begleiter Vergil - beide Figuren trennen mehr als 1300 Jahre. In diesem Werk legt Dante fast schützend seine Hand auf die Arme des Begleiters, der sich den Mund mit seiner Kleidung bedeckt, vermutlich, um seinen Ekel zu verbergen.
Ca. 30 Jahre vor unserem Werk hatte sich Eugène Delacroix an eine malerische Version des Themas gewagt. In "Die Dantebarke" sehen wir die zwei expressiver und deutlicher als Protagonisten ausgezeichnet. Auf die Kennzeichnung identifizierbarer Seelen verzichtete der Franzose. Stattdessen wirken die gruseligen Gestalten, die das Boot bedrängen, eher austauschbar. Der Fährmann Phlegias, hier von hinten zu sehen, hat seine Mühe, diese verlorenen Seelen vom Boot fernzuhalten. Der rotäugige, grimmige Mann, der hinten versucht, ins Boot zu klettern, ist einer Zeichnung des Bildhauers John Flaxman entlehnt, der 1822 eine Illustration einer Ausgabe von Dantes Göttlicher Komödie veröffentlichte.
Nach zwei Absagen des Prix de Rome war es dieses Werk, welches ihm endlich den erhofften akademischen Erfolg brachte. Nicht ohne Gegenwind von den impressionistischen Kollegen, wurde dieses Werk in der Öffentlichkeit überwiegend sehr positiv aufgegriffen. Ein Wendepunkt in seiner Karriere. Später sollte Bouguereau sich gar beschweren, dass er nicht mehr zur Toilette gehen kann, ohne Geld zu verlieren. Obwohl die Übersteigerung und Drastik der Szene so gut ankamen, widmete sich der Franzose nie wieder so einem düsteren Thema. Er konzentrierte sich fortan auf heitere Motive.
William-Adolphe Bouguereau - Dante und Vergil in der Hölle
Öl auf Leinwand, 1850, 280,5 x 225,3 cm, Musée d'Orsay, Paris
Eugène Delacroix - Die Dantebarke
Öl auf Leinwand, 1822, 189 × 246 cm, Musée du Louvre, Paris