von Alexandra Tuschka
Das soll ein van Gogh sein? – könnte man sich fragen, ist doch die Stilabweichung dieses Werk im Vergleich zu seinen berühmten, späteren Kunstwerken sehr offensichtlich. Viel konkreter sind die Figuren, viel pastoser und deckender die Farbe, viel spärlicher fällt das Licht in die Szene. Dieses Werk entstand 1885 und markiert somit den Beginn der Malerkarriere des berühmten Niederländers. Es soll das einzige Gruppenportrait seines gesamten Oeuvres bleiben.
Fünf Personen haben sich in einer Stube um einen Tisch versammelt, ein Gas-Lämpchen erhellt den Raum nur dürftig. Die Uhr schlägt sieben, Zeit zum Abendessen. Heute Abend gibt es dampfende Kartoffeln, die wir links sehen und frisch aufgebrühten Kaffee, der von der älteren Dame rechts eingegossen wird. Ein Mädchen steht am Tisch, sie sehen wir nur von hinten. An der Wand hängt ein kleines, religiöses Gemälde. Ein Fenster rechts und eine Tür links begrenzen den Raum, alles ist gedrängt, aber wirkt irgendwie urgemütlich. Obwohl Perspektive und auch Anatomie nicht konsequent ausgearbeitet wurden und man dem Gemälde leicht karikierende Züge unterstellen könnte, spürt man doch eine tiefe Achtung und Sympathie des Malers vor den Abgebildeten. Van Gogh beschreibt in einem Brief an seinen Bruder Theo seine Absicht sehr genau: "Sieh mal, ich habe es wirklich so machen wollen, dass die Leute auf die Idee kommen, dass diese Leute, die ihre Kartoffeln beim Licht ihrer kleinen Lampe essen, mit diesen Händen, die sie in die Schüssel stecken, selbst die Erde bearbeitet haben, und so spricht es von MANUELLER ARBEIT und - dass sie so ehrlich ihre Nahrung verdient haben (...) Ich wollte, dass es die Idee einer ganz anderen Lebensweise als die unsere vermittelt - zivilisierte Menschen. Ich will also sicher nicht, dass jeder es nur bewundert oder gutheißt, ohne zu wissen, warum.(…) Ein Bauernmädchen ist schöner als eine Dame. Aber - wenn sie das Kostüm einer Dame anzieht, dann geht die Echtheit verloren.“ In diesen Zeilen drückt Vincent sehr genau aus, was er am Bauernleben schätzt, es ist vor allem die Authenzität. Daher wählte er sehr bewusst „Erdfarben“ für das Gemälde, welches es auch auf uns so erdverbunden und intim wirken lässt.
Wir sehen ein typisches „Bauernsujet“, eine gemeinsam eingenommene Mahlzeit. Dieses Motiv wurde von ähnlichen Werken wie diesem Gemälde Jozef Israels inspiriert. Mit dieser Wahl stellt sich van Gogh in die Tradition von Malerkollegen, aber verarbeitet natürlich auch seine eigene Umgebung, die ihn lange Zeit begleitet. Er schuf dieses Werk als er in Nuenen wohnte, einem kleinen Ort in den südlichen Niederlanden, wo er zahlreiche Studien zum Bauernleben ausarbeitete. Auch für dieses Werk, was er – wie er in einem Brief an seinen Bruder Theo schrieb – in relativ kurzer Zeit schuf, benötigte er dennoch einen ganzen Winter voller Studien. Besonders viel Wert legte er dabei auf die Köpfe und Hände der Bauern, wie auch hier erkennbar wird. Die Hände und Gesichter sind zerfurcht von der harten Arbeit und dennoch liegt etwas Würdevolles in dem Blick, den van Gogh hier zum Ausdruck bringt.
Theo bekam das Gemälde von seinem Bruder geschickt, er sollte es im Salon einreichen. „Ich bin neugierig, ob Du etwas darin finden wirst, das Dir gefällt - ich hoffe es.“ schrieb Vincent, wohlwissend, dass das Werk nicht Jedermanns Geschmack treffen würde. So kam es dann auch: die „Kartoffelesser“ trafen nicht den Geschmack des zeitgenössischen Publikums, es wurde stark kritisiert wegen der Dunkelheit, der recht monochromen Farbwahl und der perspektivischen Nachlässigkeiten. Heute genießt es wiederum eine hohe Anerkennung und steht stellvertretend für diese früheste Phase von van Goghs künstlerischen Schaffen, welche so bemerkenswert anders ist, als das spätere Ouevre.
Abschließend wollen wir noch einmal den Künstler zu Wort kommen lassen, der es wie folgt ausdrückte: „Und ebenso wäre es meiner Meinung nach falsch, einem Bauerngemälde eine gewisse konventionelle Glätte zu geben. Wenn ein Bauernbild nach Speck, Rauch, Kartoffeldampf riecht - gut - das ist nicht ungesund - wenn ein Stall nach Mist riecht - sehr gut, dafür ist ein Stall da - wenn das Feld nach reifem Weizen oder Kartoffeln oder - nach Guano und Mist riecht - das ist wirklich gesund - gerade für Stadtmenschen. Die haben etwas Nützliches an solchen Bildern. Aber ein bäuerliches Bild darf nicht parfümiert werden.“ Schön gesagt!
Vincent van Gogh - Die Kartoffelesser
Öl auf Leinwand, 1885, 81,5 x 114,5 cm, Rijksmuseum, Amsterdam
Jozef Israel - Bauernfamilie am Tisch
Öl auf Leinwand, 1882, Van Gogh Museum, Amsterdam
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