von Alexandra Tuschka
Jetzt heißt es wohl: Lächeln und Haltung zeigen! – denn der berühmte spanische Maler Diego Velázquez selbst sieht uns mit einem musternden Blick an. Er hat den Pinsel schon gezückt, gleich setzt er an zu malen! Aber Moment mal! Malt er da vielleicht gar nicht uns?
Wir haben es mit einem fast lebensgroßen Gemälde von den Maßen 318 x 276 cm zu tun, auf dem unser Blick erst einmal Ruhe finden muss. Elf Personen und einen Hund können wir entdecken, gleich sechs Personen nehmen Blickkontakt zu uns auf. Wo sind wir denn hier hineingeraten? Gedanklich können wir Dreier- Gruppen bilden: Vorne sehen wir ein kleines Mädchen mit zwei Bediensteten, die sie umgeben. Rechts zu sehen sind eine Zwergin, ein Junge und ein schlafender Hund. Dahinter zwei flüsternde Personen und ein durch eine offene Tür tretender Mann. Der Maler selbst steht links an einer überdimensionalen Leinwand, weiter dahinter sehen wir das Königspaar im Spiegel glänzen. Dieses Schnappschuss-artige Durcheinander wurde vom Künstler sehr bewusst durchkomponiert. Neben der Unterteilung in Dreier- Gruppen, ist auch die Zahl der weiblichen und männlichen Personen ausgeglichen. Diese lassen sich zu Paaren zusammenfassen – außer der übrigbleibenden Infantin, die dann alleine steht.
Wir schauen in einen Innenraum des Alcázars, der Residenz des spanischen Königs Philipp des IV., vermutlich in ein Atelier oder den Ausstellungsraum der königlichen Kunstsammlung. Dieser Raum hat hohe Decken und ist mit großformatigen Kunstwerken behangen, deren Motive nicht gut erkennbar sind. Von rechts fällt Licht durch ein großes Fenster und erhellt die jungen Frauen im Vordergrund. Es sind „las Meninas“ – „Die Mädchen“, welche dem Bild ihren Titel verleihen. Besonders hell erleuchtet ist das blonde Kleinkind. Es ist die Infantin Margarita Teresa, hier im Alter von 5 Jahren zu sehen.
1656, zum Entstehungszeitpunkt des Werkes, ist ihr Vater, Philipp der IV., bereits 51 Jahre alt. Die spanische Dynastie hatte durch lange Kriegszeiten herbe Verluste zu verkraften; und auch privat hatte Philipp viele Rückschläge zu verzeichnen. Aus erster Ehe starben 6 der 8 Nachkommen bereits im Kindesalter, der einzige Sohn und Thronfolger wurde nicht einmal 20 Jahre alt und war zu diesem Zeitpunkt ebenfalls schon einige Jahre verstorben. Zu diesem Zeitpunkt war die hier zu sehende Infantin das einzig lebende Kind des Königs.
Sie hat ein helles Kleid an, um die blasse Haut und das blonde Haar hervorzuheben. Die etwas älteren Dienstmädchen dagegen tragen dunklere Kleider und setzen sich somit kontrastreich von ihr ab. Auch die Zwergin und der Junge, die als „hombres de placer“ zur Belustigung des Mädchens am Hof waren unterstreichen dies. Im Vergleich zu der Zwergin erscheint das Kind noch hübscher und idealisiert. Sie schaut den Betrachter direkt in die Augen und hat eine Pose eingenommen, die recht repräsentativ ist. Dadurch zeigt sich ihr ausladender Rock, der durch einen „Verdugado“, einen breiten Unterrock, ausladend und vermutlich ungemütlich zu tragen war. Auch die Dienstmagd rechts ist so in Szene gesetzt, dass wir diesen gut erkennen können.
Nur die rechte Hand der Infantin scheint verführt von der angebotenen „Búcaro de Indias“ zu sein. Es war eine Mode am spanischen Hof, aromatische Töpferware aus Lateinamerika zu importieren, die man sogar abbrechen und essen konnte. Die kniende Dienstmagd bietet der Infantin das Gefäß auf Augenhöhe an. Die andere hat uns jedoch entdeckt und macht einen Knicks. Oder meint sie gar nicht uns? Die ständige Verwirrung des Betrachters ist das große Geheimnis des Gemäldes, welches alle möglichen Interpretationen auf den Plan gerufen hat. Malt der Künstler uns? Aber wieso ist er dann selbst im Bild und nicht vor der Leinwand? Wir müssen uns wohl einen großen Spiegel vorstellen? Aber Moment mal! Da spiegelt sich doch das Königspaar im Hintergrund. Stehen diese also vor uns und werden gemalt?
Der Maler Diego Velázquez hatte bereits viele Portraits und Auftragsarbeiten für den König erledigt. Zu diesem Zeitpunkt verbindet die Männer eine bereits 30 Jahre lang bestehende Geschäftsbeziehung, die zunehmend auch zur Freundschaft wurde. Der in Palastkreisen bekannte Bildtitel „Die Familie“ macht deutlich, dass der Maler sich hier selbstbewusst seinem Hofstaat zugehörig zeigt. An seinem Gürtel erscheinen die symbolischen Schlüssel seiner Hofämter und auf dem Wams das Kreuz des Santiago-Ordens, welches er tatsächlich erst nach diesem Werk verliehen bekommen hat. 1734 wurde das Gemälde beschädigt und zu zwei Seiten leicht beschnitten, heute hängt das Werk im Prado in Madrid.
Es darf darüber gestritten werden, ob Velázquez durch dieses Werk seine Urheberschaft als Schöpfer unterstreichen wollte und die Malerei aus der Wahrnehmung als Handwerkkunst herausheben wollte. Dafür sprächen die Gemälde im Hintergrund, die leider nur schwer erkennbar sind. Zu sehen sind folgende Motive: Athene und Ariachne beim Wettstreit, im Original von Peter Paul Rubens und rechts Marsyas und Apollon beim Flötenwettstreit, im Original von Jacob Jordaens; beides Motive, welche den Kampf zwischen Göttern und Sterblichen zum Thema haben.
Sie können mit einer Reihe grundsätzlicher Fragen der damaligen Zeit assoziiert werden: Ist auch die künstlerische Gabe von Gott gegeben oder ist sie das Ergebnis langjähriger Arbeit? Ist „Inspiration“ ein Wert, den man anerkennen muss, und setzt die Schöpferkraft den Maler nicht vom Handwerker ab? Diese Positionen waren zum Entstehungszeitpunkt im öffentlichen Ansehen noch nicht geklärt, auch wenn sie uns heute eindeutig erscheinen.
Diego Velázquez - Las Meninas
Öl auf Leinwand, 1656, 318 x 276 cm, Museo del Prado in Madrid
Peter Paul Rubens - Athena und Ariachne
Öl auf Holz, 1636, 26,6 x 38,1 cm, Virginia Museum of Fine Arts, Richmond
Jacob Jordaens - Apollon und Marsyas
Öl auf Leinwand, 1636 - 1638, 180 x 270 cm, Museo del Prado, Madrid