von Alexandra Tuschka
Das hatten sich die Schriftgelehrten und Pharisäer anders vorgestellt, als sie die Ehebrecherin vor Jesus brachten, damit er darüber richte, was geschehen soll. Das Buch Johannes 8,3-11 beschreibt uns diese Episode in wenigen Zeilen. Diese Geschichte birgt aber noch mehr: den Versuch der Überlistung. Die Sadduzäer und Pharisäer - Mitglieder des jüdischen Regierungsrates - waren ängstlich und eifersüchtig auf Christi Predigt geworden, die immer mehr an Einfluss gewann. Sie wollten ihn dazu zwingen, gegen das jüdische Gesetz zu verstoßen. Es war bekannt, dass Jesus Vergebung und Mitgefühl predigte und nicht den strengen alten Regeln folgte. Nach denen müsste diese Frau gesteinigt werden. "Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie." sagt er schließlich bloß und erntet große Verwunderung.
Rembrandt wählte die bekannte Szene und inszeniert hier die Ehebrecherin, ganz symbolisch, hell erleuchtet in der Mitte des Bildes, kniend, weinend. Ihr Gewand ist weiß und drückt damit ihre echte Reue aus. Mit dieser Anordnung ist sie auch dem Betrachter ausgeliefert. Ein älterer Mann links daneben, lüftet den Schleier, verweist mit seiner Geste auf die Frau und fordert Jesus auf, ein Urteil zu fällen. Er aber schaut nur auf sie und scheint in der Entscheidung inne zu halten. Nach den eben zitierten berühmten Worten sagt er zu ihr "So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr." (Joh 8,11)
Während die Umstehenden unbequem gedrängt wirken, steht Jesus aufrecht, gelassen und wird von keiner anderen Figur überschnitten. Seine zwei Begleiter stehen neben ihm. Sie sind Apostel und deutlich als diese zu erkennen. Die Kleidung der drei Männer entspricht keineswegs der prunkvollen Machtdemonstration der Pharisäer.
In diesem Bild spielt sich die Hauptszene im unteren, helleren Drittel ab, nur vage erkennen wir eine zweite Szene, die im Urtext nicht zu finden ist. Rechts im Hintergrund bildet sich eine Prozession, die auf den goldenen Tempel zusteuert. Hier sitzt der Tempelherr auf seinem Thron und vollzieht ein religiöses Ritual.
Wie aber muss man beide Szenen gemeinsam verstehen? Mit diesem - auch kompositorisch - integrierten Gegengewicht zu der Vorderszene wird symbolisch auf die Erneuerung der alten Gesetze hingewiesen. Der Hohepriester sowie die strengen Traditionen des mosaischen Gesetzes (der Gesetze unter Mose und damit des AT). Jesus setzt diese zwar nicht außer Kraft, sondern versteht sich als Erneuer der Gesetze, welche mit ihm durch Vergebung und Gnade geprägt werden. So vermittelt uns das Weiß der Sünderin auch, dass Vergebung nach echter Reue möglich ist, Jesus erhöhte Position zeigt nicht nur seine moralische Überlegenheit an, sondern auch, dass er auf diesen perfiden Trick nicht hereingefallen ist. Diese Szene erinnert uns an berühmte Worte an anderer Bibelstelle "Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!" (Mat 7,1)
Rembrandt - Jesus und die Ehebrecherin
Öl auf Eichenholz, 83,8 × 65,4 cm, 1644, National Gallery, London