von Alexandra Tuschka
Es erscheint fast wie eine Alltagsszene: an einem schönen Sonnentag hat sich Mutter Maria mit dem Jesusknaben sowie dem Sohn ihrer Cousine Elisabeth Johannes d. T. nach Draußen begeben. Sie wollte eigentlich ein wenig Lesen, aber nun tritt der nackte Sohn mit seinem Fuß auf ihren Fuß und fordert ein wenig Aufmerksamkeit. Frech will er ihr auch noch das Buch aus der Hand nehmen. Sie hält ihn liebevoll zurück. Das andere Kind sieht etwas ungewöhnlich aus, in Kamelfell und mit Kreuzstab. Vielleicht hatte es Lust, sich zu verkleiden? Genau diese vermeintliche Alltäglichkeit ist es, die diesem Werk seinen Stellenwert als eines der Meisterwerke des Italieners Raffael eingebacht hat. Natürlich ist nahezu alles in diesem Werk symbolisch und wohl durchdacht!
Als ein Kind der Renaissance ordnet Raffael die Personengruppe in einer typischen Dreieckskomposition an. Damit vermittelt er Einheitlichkeit, aber auch Stabilität. Die Horizontlinie ist ungewöhnlich hoch, beinahe auf der Bildmittelachse und auf der Höhe des Gürtels von Maria. Die abgerundeten oberen Ecken rahmen das Bild zusätzlich und verstärken die Intimität. Im Vordergrund herrschen sorgfältig studierte Pflanzen vor, der Hintergrund besteht aus einem See, Bergen und rechts einem kleinen italienischen Dorf. Am Himmel sind wenige Schäfchenwolken zu sehen.
Die Gesten sind natürlich in dem biblischen Zusammenhang zu setzen: Johannes der Täufer war Asket in der Wüste sowie der letzte Prophet, der den Heiland ankündigte; seine Attribute wurden hier also bereits integriert, um ihn erkennbar zu machen, obwohl er noch ein Kind ist. Seine Demut wird durch das Knien und den demütigen Blick in Richtung von Jesus ausgedrückt. Der wiederum sieht seine Mutter an, während er selbstbewusst nach dem Buch greift. Ihre Augen senken sich und erwidern den Blick des Kindes. Auch diese Blickachsen sind essentiell für die Interpretation. Jesus, der mit seinem "Nehmen" auch im übertragenen Sinne sein Schicksal nehmen möchte und sein Einverständnis zu diesem bekundet, begegnet den Regungen seiner Mutter. Diese kann sich zwischen zögern und zulassen nicht entscheiden und offenbart damit eine nur allzu menschliche Regung. Diese Ambivalent wird bspw. auch in der berühmten Sixtinischen Madonna ausgedrückt, da Maria uns - dem Betrachter und der Welt - einerseits den Sohn übergibt, andererseits aber ein sorgenvolles Wissen in ihrem Gesicht ausgedrückt wird.
Weitere Details unterstreichen diese Interpretation: Maria ist in ihren Marienfarben Rot und Blau zu sehen; ein leichter Schleier verhüllt ihre Augen und ihr Gesicht. Das Buch symbolisiert als Lebensbuch einerseits das Schicksal, wie bereits erwähnt, ist aber auch eine Anlehnung an die Verkündigungsikonographie. Bei diesen Szenen sehen wir üblicherweise Maria, die beim Lesen vom einem Engel unterbrochen wird. Damit wird auf ihre Frömmigkeit, Bildung und Reinheit hingewiesen. Der Tritt auf den Fuß wiederum ist ein seltenes Motiv und wurde im Mittelalter noch häufiger verwendet als Zeichen der Dominanz (bspw. tritt Jesus gerne mal einem Soldaten auf den Fuß); in diesem Fall steht die Geste für die Selbstständigkeit und auch, dass die mütterlichen Regungen in dieser Hierarchie untergeordnet sind. Jesus Schicksal ist von diesem abgesegnet. Einige Pflanzen im Vordergrund nehmen diese Thematik auf: die Veilchen stehen für die Demut der Madonna, die Akeleien für die Passion Christi.
Folgen wir der in der Fachwelt anerkannten These, dass dieses Werk in den Viten des Vasari erwähnt wird, war es eine Auftragsarbeit für einen gewissen Filippo Sergardi, von dem ansonsten wenig bekannt war. Weil Raffael 1508 von Siena nach Rom beordert wurde, musste der blaue Mantel von Ridolfo del Ghirlandaio vollendet werden. Franz I. kaufte es noch im selben Jahrhundert und brachte es nach Paris, wo es heute im Louvre zu finden ist. Der große Einfluss des Werkes macht sich auch in den vielen Kopien bemerkbar, die andere Künstler davon anfertigten.
Der Titel "Die schöne Gärtnerin" entstand erst im 19. Jahrhundert. Da wir es hier zwar mit einer Naturszene, aber mitnichten mit Gartenarbeit zu tun haben, ist auch diese Bezeichnung symbolisch zu verstehen, indem Maria als Großziehende, Nährende und Behüterin einen Urtypus der Mutter verkörpert.
Raffael - Die schöne Gärtnerin / Maria mit Jesus und Johannes d. T.
Öl auf Pappelholz, ca. 1507/08, 122 × 80 cm, Musée du Louvre, Paris
Raffael - Die Sixtinische Madonna
Öl auf Leinwand, 1512/1513, 256 x 196 cm, Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden
Konrad Witz - Die Verkündigung an Maria
Öl auf Holz, 1437 - 1440, 157 x 120 cm, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg
Comments