von Anna Maria Niemann
Nebelschwaden ziehen auf und eine Kuh löst einen göttlichen Ehekrach aus. Welche kuriose Storyline Pieter Lastman in seinem Gemälde "Juno entdeckt Jupiter und Io" aufgreift und was die sprichwörtlichen Argusaugen mit dem schönen Pfauenrad zu tun haben, klärt sich mit einem Blick in das erste Buch Ovids. Die Geschichte um Jupiter und Io reiht sich in die lange Liste an Liebschaften des Göttervaters ein. Aufgeladen mit Intrigen, der Vertuschung einer geheimen Affäre und dem Rachefeldzug einer von Eifersucht getriebenen Ehefrau verwundert es nicht, dass ausgerechnet diese Erzählung in den bildenden Künsten eine große Beliebtheit erfahren hat. Zu den Interpret*innen der Geschichte gehört auch der niederländische Maler Pieter Lastman, der sich dem Thema 1618 gewidmet hat. Lastmans detailreiches Gemälde „Juno entdeckt Jupiter und Io“ illustriert mit seiner dynamischen Komposition eine verschachtelte und komplexe Erzählung der Mythologie.
Der unersättliche Jupiter, der neben seiner Ehe mit der mächtigen Juno unzählige Affären pflegt, hat ein neues Objekt der Begierde. Das neueste Ziel seiner meist nicht-konsensualen Annäherungsversuche ist die junge Nymphe Io, Tochter des Flussgottes Inachus. Doch diese ist nicht begeistert von ihrem göttlichen Verehrer und ergreift, nachdem dieser noch versucht, sie mit einer wortgewandten Darstellung seiner Mächtigkeit von sich zu überzeugen, die Flucht. Wohl wissend um die rasende Eifersucht seiner Gattin Juno entschließt sich Jupiter dennoch die Verfolgung nach Io aufzunehmen. In Gestalt eines dunklen Nebels bekommt er die Nymphe zu fassen und vergewaltigt sie. Juno, die sich der heimlichen Liebesspiele ihres Mannes inzwischen bewusst ist, hält Ausschau nach Jupiter, um ihn auf frischer Tat zu ertappen. Verwundert über die dunklen Nebelschwaden, hinter denen sich Jupiter verbirgt, schiebt Juno diese beiseite, um ihren Gatten zu erspähen. Doch dieser reagiert rasch und gerissen. Ehe Juno ihn beim Liebesspiel mit Io erwischen kann, verwandelt er diese schnell in eine Kuh, um ihre wahre Identität geheim zu halten. Er wusste, dass die Kühe Juno heilig waren, und sie dem Tier nichts tun würde. Die misstrauische Juno scheint das Spiel ihres Gatten zu durchschauen und ahnt, dass es sich bei der besonders schönen Kuh in Wahrheit um die Geliebte Jupiters handeln muss. Um ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen, verlangt Juno also die Herausgabe der Kuh als Geschenk von ihrem Mann. Widerwillig, aber in der Hoffnung seine Tarnung nicht auffliegen zu lassen, übergibt Jupiter der Juno das Tier. Doch Junos Argwohn ist noch nicht erloschen. Um der vermeintlichen Affäre ihres Mannes ein Ende zu setzen, lässt sie die Kuh von nun an bei Tag und bei Nacht von dem hundertäugigen Riesen Argus bewachen. In der Gestalt der Kuh gefangen, schafft es Io sich eines Tages während des Weidens am Flussufer ihrem Vater erkennen zu geben. Dieser grämt sich schrecklich seine Tochter verloren zu haben. Schließlich ist es Jupiter, der etwas unternimmt, dem Leiden der Io ein Ende zu bereiten. Mithilfe des Götterboten Merkur soll ihm dies gelingen. Als Hirte getarnt und mit seinem schlaferzeugenden Stab sowie einer Hirtenflöte ausgestattet, macht sich Merkur auf den Weg, den Argus zu überlisten. In der Hoffnung ihn in den Schlaf treiben zu können, besingt Merkur Argus mit allerlei Liedern bis schließlich eines, das die Geschichte von Pan und Syrinx und der Entstehung der Panflöte erzählt, den gewünschten Effekt erzielt. Argus schläft ein und Merkur hilft mit seinem schlaferzeugenden Stab nach, bevor er den Hundertäugigen köpft. Juno, die das Spektakel beobachtet, sammelt die Augen des Argus auf und gibt sie einem Vogel, dem Pfau, als Sternenjuwelen auf seinen gefiederten Schweif. So erhält der Pfau sein mit Augen geschmücktes Rad und die Juno ihn als Attribut. Nun noch stärker erbost über die erneute List ihres Gatten, straft Juno wieder die Io. Sie lässt die Kuh von der gefährlichen Erinys, einer Bremse, verfolgen und plagen. Erst als Juno eine aufrichtige Entschuldigung Jupiters erhalten hat, gibt sie der Io ihre alte Gestalt zurück. Diese kehrt zurück in ihr Reich, wo sie Jupiter den Epaphus gebärt und künftig als Göttin verehrt wird.
Pieter Lastman gelingt es, viele der Elemente dieser komplexen Erzählung in seinem Werk in Relation zueinander zu setzen, so dass eine Identifikation des Bildthemas ganz leicht fällt. Wir lesen das Gemälde von der linken oberen, zur rechten unteren Bildecke. Aus ihrem Himmelreich absteigend sehen wir dort die Göttermutter Juno wie sie, begleitet von ihren Pfauen, die Nebelschwaden beiseite schiebt, um dem dahinter verborgenen Geschehen auf den Grund zu gehen. Die Nebelwolke auf der Juno, die durch brokatverzierte Kleidung und kronengesäumtes Haupt als Göttin gekennzeichnet wird, hinabgleitet, dient in der Bildkomposition als ein diagonales Grenzelement, das Himmel- und Erdenreich voneinander trennt. Im rechten unteren Bildbereich überschlagen sich die Handlungen. Jupiter hat die Io bereits in eine Kuh verwandelt, um ihre Identität vor seiner eifersüchtigen Gattin zu verstecken. Dass es sich bei der Kuh und dem sie schützend zu sich heranziehenden Mann um das Duo Io und Jupiter handelt, wird durch den geflügelte Amor in der Bildmitte suggeriert. Dieser scheint sein liebesstiftendes Werk bereits vollendet zu haben, denn in seinem Köcher sind keine weiteren Pfeile zu sehen und seines Bogens scheint er sich nach vollbrachter Arbeit entledigt und ihn zu seinen Füßen abgelegt zu haben. Dass es sich bei der Relation zwischen Jupiter und Io nicht um eine einvernehmliche und vom Amor forcierte, sondern um eine Vergewaltigung handelt, scheint für Pieter Lastmans Bildkonzeption nicht von Relevanz zu sein. Er fügt der ovidschen Erzählung in seinem Gemälde Details hinzu, die sicherlich zur erzählerischen Qualität des Historienbild beitragen sollen. Bei Lastman ist es nicht Juno selbst, die durch das Entfernen der Nebelfront das Verhältnis ihres Mannes entdeckt. Sie hat Hilfe von einer weiteren Figur, die im Bildhintergrund einen fließenden Stoff, unter dem Jupiter wahrscheinlich sein Vergehen an Io versteckt hielt, beiseite zieht und somit das Geheimnis um die Affäre lüftet. Bei dem muskulösen Begleiter, der mit einem Rotfuchsfell am Rücken sowie einer roten Gesichtsbemalung geschmückt ist, handelt es sich möglicherweise um Junos Sohn, den Kriegsgott Ares. Dieser wird oft vom Attribut des arglistigen Fuchses begleitet. Die rote Gesichtsbemalung ähnelt einer Kriegsbemalung, die Pieter Lastman zeitgenössisch geläufig gewesen sein könnte und den Mann als Krieger kennzeichnet. Mit der Darstellung des Pfaus und seinem geschmückten Gefieder als Attribut der Juno greift Lastman jenen Teil der Erzählung voraus, in dem Ovid davon berichtet, wie Juno dem Pfau die hundert Augen des getöteten Argus als Schmuck gibt. Die beiden Pfauen in Lastmans Gemälde dienen also als Attribute mehr einer Kennzeichnung Junos, als dass sie Teil einer chronologischen Wiedergabe Ovids Erzählung sind.
Der Szene um die Schmückung des Pfaus widmet sich Rubens in seinem kurz zuvor entstandenen Gemälde zu Juno und Argus. Dort sehen wir Juno, angereist in ihrem Wagen, wie sie den geköpften hundertäugigen Bewacher der Io vorfindet und sich ans Werk macht, dessen Augen eine neue Verwendung zu geben. Mithilfe ihrer beide Gefährtinnen sammelt sie die Argusaugen auf und schmückt damit das gefederte Rad des Pfaus. Eine weitere Interpretation des Themas von David Teniers d.Ä. setzt wiederum an einer anderen Stelle der Geschichte um Io, Juno und Jupiter an. In seinem 1638 entstandenen Gemälde entwirft Teniers Jupiters Übergabe Ios in Gestalt einer Kuh an Juno. In eine Landschaftsdarstellung eingebettet sehen wir Juno, die soeben die Kuh von Jupiter an sich genommen hat. Die beiden Eheleute scheinen sich in einer Auseinandersetzung zu befinden. Worüber sie streiten können Betrachtende wohl ahnen. Mehrere Bildelemente dienen einer sicheren Identifikation des Bildthemas. Das Setting der Szene am Ufer eines Flusses deckt sich mit Ovids Bericht darüber, dass Io in Gestalt der Kuh am Gewässer ihres Vaters, dem Flussgott Inachus, graste. Ganz zweifelsfrei geben der Adler, als Attribut des Jupiters, und der Pfau, geschaffen durch die Juno, in der rechten unteren Bildecke uns eine Bestätigung des Bildthemas. Repräsentativ für die beiden Gottheiten scheinen auch die Tiere ein Streitgespräch zu führen. Noch scheint Jupiters Adler mit aufgebauschten Flügeln die Taten seines Patrons zu verteidigen. Doch offenbar, so wirkt es, setzt Junos Pfau schon an, sein allsehendes Rad aufzuschlagen, um sich mit Argusaugen zu vergewissern, dass ihm in Zukunft keine Missetat mehr entgeht.
Pieter Lastman: Juno entdeckt Jupiter und Io
1618, Öl auf Holz, 54 x 78cm, London, National Gallery
Peter Paul Rubens: Juno und Argus
um 1610, Öl auf Leinwand, 249 x 296 cm, Köln, Wallraf-Richartz-Museum
David Teniers d.Ä.: Jupiter übergibt Juno die in eine Kuh verwandelte Io
1638, Öl auf Kupfer, 47,3 x 61,2 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum