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Paul Gauguin - Jakob ringt mit dem Engel

von Alexandra Tuschka

Einige Frauen, in bretonischer Tracht, pflastern den unteren und linken Bildrand. Sie tragen weiße Hauben, und einfache, schwarze Kleider. Mehrere von ihnen sind von hinten zu sehen und nehmen fast die gesamte untere Bildhälfte ein. Zwei Damen, beide haben die Augen geschlossen, begrenzen zudem das Werk zu beiden Seiten. Andere Damen haben die Hände zum Gebet gefaltet. Im Hintergrund sind sie zunehmend abstrahiert, so dass wir dort nur noch die Körpersprache, nicht aber die Mimik erkennen können. Nur eine Frau hat die Augen geöffnet und betrachtet die Szene rechts. Auch wir als Betrachter werden Teil dieser Versammlung und sehen, wie ein Mann mit einem Engel kämpft. Beide sind barfuß, der Engel ist momentan überlegen. Ein Baum zieht sich diagonal durch das Bild und trennt es auch kompositorisch. Seine grüne Baumkrone weitet sich breit am oberen Bildrand aus. Links hat sich noch eine Kuh verirrt. Diese ist viel kleiner als die Frauen neben ihr. Kein Schatten verdunkelt die Szene.

Der Kampf, auf die wir unweigerlich unsere Aufmerksamkeit richten, entstammt dem Buch Genesis ab 32,23:

23Und Jakob stand auf in der Nacht und nahm seine beiden Frauen und die beiden Mägde und seine elf Söhne und zog an die Furt des Jabbok,

24nahm sie und führte sie über das Wasser, sodass hinüberkam, was er hatte,

25und blieb allein zurück. Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach.

26Und als er sah, dass er ihn nicht übermochte, schlug er ihn auf das Gelenk seiner Hüfte, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm verrenkt.

27Und er sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jakob antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.

28Er sprach: Wie heißt du? Er antwortete: Jakob.

29Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen.


Der hebräische Name "Isreal" bedeutet übersetzte "Gott kämpft". Der englische Gemäldetitel "Die Vision nach der Messe" vermag uns nun auch bei der Deutung weiterzuhelfen. Hier sehen wir das biblische Thema des Kampfes Jakobs mit dem Engel, allerdings nicht bildausfüllend. Vielmehr sehen wir das spirituelle Erlebnis der Frauen ausgedrückt, welche den Kampf nach einer Predigt über dieses Thema imaginieren. In einem Brief des Künstlers an seinen Freund Van Gogh heißt es: "Für mich existieren die Landschaft und der Kampf nur in der Vorstellung der Menschen, die nach der Predigt beten". Es gibt verschiedene Auffassung dieser Bibelepisode: ist der Künstler eine Traumfigur, eine prophetische Vision, ein Engel, Jesus, Gottselbst oder "Das Gute" in persona? Gauguin positioniert sich hier zu nicht eindeutig.

Das Gemälde entstand in einer Künstlerkolonie in Pont-Aven in der Bretagne. Gauguin zog es, nach einer Weile in Paris, in die rauere Umgebung, da die Menschen dort natürlicher und ursprünglicher lebten. Die Kuh, die durch das Bild läuft unterstützt diesen ländlichen Eindruck. In der Bretagne lernte der Maler 1888 Émile Bernard kennen. Dessen Stil, der durch japanische Kunst beeinflusst war, inspirierte auch Gauguin, den die impressionistischen Ansätze nicht ausreichend künstlerisch befriedigen konnten. Gauguin wollte die Farbe ihrer natürlichen Zuordnung entziehen. Auch die verzerrten Formen und die Verwendung starker Konturlinien mitsamt eher flächigem und wenig abstufendem Farbauftrag machten den Einfluss der japanischen Holzschnitte deutlich, von denen Gauguin nachweislich mehrere besaß.

So ist der Boden hier eine tiefrote Fläche, sie ist weder Erde, noch Gras, noch Feld. Damit wird die Farbe ihrer natürlichen Funktion und Assoziation entzogen. Diese Farbwahl war nicht zufällig. Einerseits war sie mitsamt des diagonalen Baumes von Hiroshiges "Plum Park in Kameido" inspiriert, andererseits unterstreicht die Farbe das Bildthema des Kampfes, da sie in ihrer Wucht und Fläche potenziell aggressiv erscheint. Des weiteren nannte Bernard später die "Sumoringer" von Hokusai als direkte Einflussquelle für das Bildthema. Mit dieser Idee, Farbe rein abstrakt aufzufassen, brach Gauguin mit einer Auffassung, die seit der Renaissance existierte. Auch der fehlende Tiefenraum ist ein Element, welches Gauguin der japanischen Kunst entlehnte. Damit entfernte er sich von den Impressionisten.


Ende August 1888 schrieb Gauguin: "Ich komme mit meinen letzten Arbeiten gut voran, und ich denke, Sie werden eine neue Note oder vielmehr die Bestätigung meiner früheren Versuche finden, eine Form und eine Farbe zu synthetisieren, ohne dass eine von beiden dominiert." Mit ihrem Stil und den dazugehörigen Ideen prägten Émile Bernard und Paul Gauguin den Kunstbegriff "Synthetismus", welcher sich, neben der neuartigen Verwendung von Farbe, durch zweidimensionale und ornamentale Anordnung von vereinfachten Formen und Figuren mit betonten, schwarzen Konturen auszeichnet.

Paul Gauguin - Jakob ringt mit dem Engel

Öl auf Leinwand, 1888, 73,0 x 92,0 cm, Scottish National Gallery, Edinburgh


Emile Bernard - Die Weizenernte

Öl auf Leinwand, 1888, Musée d'Orsay, Paris


Ando Hiroshige - Plum Park in Kameido

Holzschnitt, 1857, 37 x 25 cm


Hokusai - Sumoringer üben für ein Match (Ausschnitt)

Hólzschnitt, 1817


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