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Michelangelo - Die Erschaffung Adams

von Frauke Maria Petry


An der Decke der Sixtinischen Kapelle in den Vatikanischen Museen breitet sich ein Fresko Michelangelos wie ein Himmelszelt alttestamentlicher Geschichten aus. Erschlagen von der Bildgewalt in 520 m2 und den rund 300 Bildfiguren, gedrängt von den touristischen Strömen und Rufen der Aufseher: „Go on, no Flash“, sucht das Auge nach Halt und findet an genau einem bekannten Bildgeschehen Ruhe: „Die Erschaffung Adams.“


Das 280 x 570 cm große Deckenfresko zeigt einen nackten Mann, der auf einem grünen Felsvorsprung liegt. Sein rechter Arm stützt seinen Oberkörper, das linke Bein ist aufgestellt. Sein Blick folgt dem linken, ausgestreckten Arm mit vorangeführtem Zeigefinger. Ihm gegenüber schwebt ein grauhaariger, bärtiger Mann in einem rosanen Gewand. Mit seinem ausgestreckten Körper lehnt er sich zu dem Jüngling und streckt ebenso seine rechte Hand aus. Gehalten und gestützt wird die ältere Person von mehreren, nackten Putten. Eine weibliche Gestalt befindet sich unter dem linken Arm des getragenen Mannes. Fast alle Blicke sind auf den jungen Mann gerichtet. Die Gruppe wird von einem flatternden, dunkelrosa Tuch umsäumt. Ein zartes, türkisfarbenes Band flattert unter der Personengruppe, parallel zu den Beinen. Bei den dargestellten Hauptfiguren handelt es sich, wie der Titel verrät, um Adam und Gott. Wurde das Bilderverbot im Mittelalter noch ernst genommen, so findet man seit der Renaissance — wie auch hier — Gottvater doch verkörpert. Der Rückgriff auf die Antike zeigt sich in der Wahl des Typus des antiken Philosophen. 

Michelangelo arbeitet an dem neunteiligen Deckenfresko von 1508 bis 1512. Mit gerade Mal 33 Jahren erhält er den Auftrag von Papst Julius II., die Decke der Sixtinische Kapelle dekorativ auszugestalten. Für die „buon fresco“ Technik, bei der der Farbauftrag auf den noch feuchten Putz erfolgt, beauftragte der gelernte Bildhauer eine Gruppe an spezialisierten Mitarbeitern, die unter seinen strengen Anweisungen arbeiteten. Der Meister baute eine eigene Holzkonstruktion, die die religiösen und rituellen Abläufe in der Kapelle nicht störten und den Handwerkern durch Auflagerung auf den vorspringenden Balken eine stabile Plattform in 18 bis 20 Metern Höhe bot.


Laut Bibel schuf Gott den Menschen aus der Erde des Ackerbodens und blies in seine Nase den Lebensatem. Die vierte Szene des Genesis-Zyklus, welche Michelangelo Buonarotti 1510/11 anfertigt, scheint bereits kurz nach der Erschaffung des Menschen zu sein. In Michelangelos Darstellung erweckt der Schöpfer den trägen Adam viel mehr mit seinem kraftvoll ausgestreckten Finger zum Leben; überträgt seine Energie sozusagen mit seiner Hand. Das Gesamtbild wird durch mehrere Diagonalen von der oberen rechten Ecke zur unteren linken strukturiert. Die entstehende Dynamik wird einzig von der Szene in der Bildmitte „gestört“: Die ausgestreckten Arme in Horizontalen durchbrechen die Komposition , in deren Zentrum die Hände der Bildfiguren stehen. Während Adam seine Hand locker auf seinem angewinkelten Bein stützt, verrät die Haltung der Hand Gottes, dass der Schöpfer den Zeigefinger mit mehr Aufwand ausstreckt. Die Finger der Protagonisten sind sich unglaublich nah, doch eine Berührung bleibt aus. Diese physische und konzeptuelle Kluft ist wesentlich für die Deutung des Bildgeschehens.


Giorgio Vasari schreibt 60 Jahre nach Fertigstellung des Freskos: „Eine Figur, die in ihrer Schönheit, ihrer Haltung und ihren Umrissen so erscheint, als sei sie vom ersten und höchsten Schöpfer selbst erschaffen worden, nicht aber durch den Pinsel und nach der Zeichnung eines sterblichen Menschen.“ Dem gläubigen Michelangelo lag es fern, sich oder den Menschen auf die gleiche Höhe wie den Allmächtigen zu stellen. So berühren sich die Finger der Figuren nicht – so winzig die Lücke erscheint ist auch der Unterschied zwischen dem Menschen und seinem Schöpfer. Einige Forscher gehen zudem davon aus, dass die Tuchwolke, in welcher Gott sich befindet, in Form und Farben dem menschlichen Gehirn oder aber einer Gebärmutter entsprechen. Der bläuliche Schal wäre demnach eine frisch durchschnittene Nabelschnur. Die Frau hinter Gott wird von einigen Kunsthistorikern als Präfiguration der Eva gesehen, die laut Bibel im Anschluss aus der Rippe Adams geformt wird. Dabei wird spekuliert, dass die von Gott und den Engeln geformte Elipse das kosmische Ei als perfekt geformtes Oval symbolisieren. Dem gegenüber steht das unvollständige Oval des Adams.


Ob Michelangelo diese Symbolik tatsächlich beabsichtigte, bleibt ungeklärt. Die Meisterhaftigkeit des Werks wird in der Kunstgeschichte durch viele Interpretationen gefestigt. Unumstritten bleibt, dass die anatomische Darstellung des Adams das Werk zu einem Schlüsselwerk der Renaissance macht. Die athletische Figur, die den menschlichen Körper in Harmonie abbildet, entspricht der idealisierten Schönheit. Das Spannungsmoment der Hände wird in den folgenden Jahrhunderten zu einem „pars pro toto“ und zu einem massenhaft reproduzierten Ausschnitt. „Die Erschaffung des Adams“ von Michelangelo ist das wahrscheinlich berühmteste Fresko der Welt.



Michelangelo - Die Erschaffung Adams

Fresko, 1510/11, 280 x 570 cm, Sixtinische Kapelle in Vatikan

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