von Alexandra Tuschka
Die Augen verbunden, die Hände gefesselt, die Füße blank und in einem einfachen, blauen Gewand, sehen wir Jesus von Nazareth in einer Szene, welche sich durch die Gegenüberstellung von Demut und Grausamkeit auszeichnet. Obwohl wir Jesu Gesicht nur zum Teil erkennen, zeugt seine Körperhaltung nicht von Gegenwehr. Dieser passiven Haltung ist der Mann über Jesu gegenübergestellt, der gerade zu einem heftigen Schlag mit der geballten Faust ausholt. Dabei zieht er mit seiner linken Hand an den Haaren Christi. Sein Gesicht zeigt ein leichtes Lächeln, er genießt es, Jesu zu bestrafen.
Eine Rückenfigur vorne füllt den vorderen Bildraum und holt ebenso, wenngleich weniger drastisch, mit seiner rechten Hand zum Schlag aus. Weitere Figuren, die teilnahmsloser wirken und den Bildgrund füllen, sind zugegen. Ein Mann mit Flöte und Trommel links begleitet die Szene nahezu feierlich und vermittelt den Eindruck einer lauten Geräuschkulisse. Wer sich nun fragt, wie er beide Instrumente gleichzeitig spielen kann - es handelt sich um eine sogenannte Einhandflöte. Vermutlich schlagen die Peiniger im Rhythmus der Trommel zu. Das Blut rinnt bereits vom Haupt herunter und zeigt, dass die Schergen schon eine Weile und äußert brutal zugange sind.
Das Bild zeigt die Szene der "Verspottung Christi", welche zur biblischen Passion gehört und nach der Gefangennahme anzusiedeln ist. Bei Markus (14,65) und Matthäus (26,67) wird beschrieben, wie Jesus vor die Hohepriester und Ältesten geführt wurde und die Frage, ob er Gottes Sohn sei mit den Worten "Ich bin es." beantwortete. Daraufhin wurde er gefoltert.
Im Hintergrund rechts werden vermutliche schon die Stöcke angedeutet, mit denen üblicherweise die Dornenkrone aufs Haupt gesetzt wird, wie im Vergleichswerk vom Meister der Freisinger Passion , ca. 30 Jahre vor unserem Werk zu sehen ist. Hier ist noch ein Hohepriester rechts in der Szene zu sehen, ebenso ein eindeutiger Verweis auf eine Innenarchitektur, vermutlich ein Palast. Hier ist Jesus ohne Augenbinde zu sehen. Das verstärkt zwar den Betrachter-Dargestellten-Bezug, ist allerdings weniger texttreu als unser Grünewald-Werk.
Obwohl ein Frühwerk, gelingt es Grünewald, tiefes Leiden und menschliche Grausamkeit darzustellen. Sein Werk ist darauf ausgelegt, dass sich der Betrachter mit Jesu Hingabe und Schmerzen identifizieren kann. Durch die recht grotesk anmutenden Peiniger wird auch ihre innere "Hässlichkeit" im Außen verkörpert. Durch die Häufung weiterer Anwesenden vermittelt Grünewald auch eine emotionale Enge und Bedrängnis. Welche Rolle diese Figuren spielen, bleibt uneindeutig, ebenso wie die Frage, wo genau wir uns befinden. Grünewald wählte einen schwarzen Hintergrund und legte den Fokus allein auf die Vorderszene.
Matthias Grünewald - Die Verspottung Christi
Öl auf Holz, um 1503/05, 109 x 73,5 cm, Alte Pinakothek, München
Meister der Freisinger Passion - Die Verspottung Christi
Öl auf Holz, 59,8 x 52,2 cm, um 1480/90, Alte Pinakothek, München