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Joseph Wright of Derby - Das Experiment mit einem Vogel in der Luftpumpe

von Alexandra Tuschka

Hier sind wir gleich in ein richtiges Spektakel hereingeraten: netterweise haben uns die anderen Personen ein Plätzchen freigelassen, um einen guten Blick auf das Experiment zu erhaschen, welches bereits seinen Höhepunkt erreicht hat. Hell erleuchtet von einer Kerze, die hinter einem Glaskolben steht, müssen wir erst einmal einordnen, was wir hier zu sehen bekommen. Schon bleibt unser Auge an dem armen Vögelchen hängen – einem Haubenkakadu - der hier um sein Leben ringt. Die Luftpumpe entzieht dem großen Glasbehälter den Sauerstoff.


Das Konstrukt geht auf den Erfinder Robert Boyle zurück, der dieses Experiment in den 1660ern entwickelte. Es war zum Zeitpunkt der Werkentstehung also schon ca. 100 Jahre alt. Dennoch hat es nichts von seiner Faszination verloren, hier wird es regelrecht inszeniert, einerseits vom Maler, andererseits vom Wissenschaftler auf der Leinwand.

Die Anwesenden reagieren recht unterschiedlich auf das Gezeigte. Ganz links hat ein junges Liebespaar nur Augen füreinander. Die durch das starke Chiaroscuro definierten Gesichter wenden sich liebevoll zueinander. Sie haben das abendliche Spektakel genutzt, um sich heimlich näher zu kommen. Das düstere Licht macht die Szene fast romantisch. Zwei weitere Personen links vorne haben uns den Rücken zugedreht. Ein Junge beugt sich vornüber und will alles genau mit ansehen. Er hat kein Mitgefühl, sondern ist von großem Interesse für das Experiment erfüllt. Davor sitzt ein Mann mit einer Stoppuhr. An ihm ist keine Miene verzogen. Mittig fällt unser Blick auf den Experiments-Leiter. Er hat wallendes, graues Haar, ein schmales Gesicht und schaut uns an. Mit der einen Hand deutet er fragend auf uns, die andere will oder will nicht das Ventil öffnen. Es ist, als würde er uns fragen, ob der Vogel leben oder sterben soll. Mit seinem roten Mantel in der düsteren Szene erinnert er auch an einen Magier. Das starke Hell-Dunkel macht seinen Auftritt umso drastischer. Wie ein Spotlight im Theater sehen wir nur das Wichtigste erhellt. Magisch ist auch, dass er etwas Unsichtbares sichtbar macht, für die Menschen der damaligen Zeit waren die Bestandteile der Luft noch nicht so gut erforscht und ein großes Rätsel. Des Weiteren verstärkt Wright die angespannte Szene durch raffinierte Details, wie die Spiegelung des Tisches oder die Tierlungen, die sich im milchigen Behälter darauf befinden. Sie alle unterstützen die gelungene Inszenierung des Mannes. Auch die zwei sogenannten „Magdeburger Halbkugeln“ liegen auf dem Tisch. Mit ihnen wurde wahrscheinlich vorher ein einfaches, aber beeindruckendes Experiment zum Luftdruck durchgeführt.

Rechts im Bild ist eine Dreiergruppe hell erleuchtet. Man könnte annehmen, dass der Vogel den beiden Mädchen gehört, die vermutlich Schwestern sind, von denen die jüngere sich zwischen Hin- und Wegsehen nicht entscheiden kann, die ältere bereits ihr Gesicht in den Händen vergräbt. Der Vater versucht den beiden Kindern sachlich das Experiment näher zu bringen. Vorne rechts im Profil ist ein weiterer Mann zu sehen. Er hat den Blick gesenkt und scheint zu sinnieren. Dafür hat er gar seine Brille abgenommen, die sich nun in seiner rechten Hand befindet. Womöglich stellt er sich die Frage, ob hier eine moralische Grenze überschritten wird. Darf der Mensch so über Leben und Tod entscheiden? Wo würde das noch hinführen? Weiter im Schatten und abseits der Gruppe ist ein Junge erkennbar, der den Käfig an einem Seil heraufzieht oder herunterlässt. Hier ist der Betrachter gefragt, den Ausgang der Szene vor dem geistigen Auge zu vollenden. Die Entscheidung liegt also buchstäblich bei uns und wird von Wright raffiniert in der Schwebe gehalten. Entscheiden wir uns dafür, dass der Vogel leben darf, so dreht der Mann augenblicklich das Ventil auf, der Vogel erholt sich, schon steht der Käfig bereit. Entscheiden wir uns anders, so ist es vielleicht zu spät und der leere Vogelkäfig, der nun nicht mehr gebraucht wird, wird vom Jungen hochgezogen.

Das 18. Jahrhundert, das Zeitalter der Aufklärung und wissenschaftlichen Revolution, brachte auch sogenannte "fahrende Wissenschaftler" oder "Naturwissenschaftler" hervor. Diese demonstrierten zahlreiche Experimente in der häuslichen Umgebung und brauchten dafür wenige Utensilien. Wir befinden uns hier in einem Innenraum, durch das starke Chiaroscuro ist nicht eindeutig auszumachen, wo genau das sein soll. Diese starken Kontraste erinnern an die Utrechter Caravaggisten wie Gerrit van Honthorst, die Wright allerdings - wenn überhaupt - nur über Drucke bekannt sein konnten.


Hier ist der Mond als zweite Lichtquelle erkennbar, womöglich mit weiterer inhaltlicher Bedeutung: denn Wright hatte gute Kontakte zur „Lunar society“, obwohl er kein Mitglied war, bewegte er sich in diesen hochgebildeten, elitären Kreisen. Zu diesen gehörten bspw. Richard Arkwright und der Großvater von Charles Darwin, Edward Darwin. Diese Gesellschaft traf sich oft bei Vollmond. Das hatte vielleicht praktische Gründe: lange Zeit war der Mond die einzige Lichtquelle in der Nacht und bot ein wenig Sicherheit auf dem – womöglich späten - Heimweg. Wrights Nähe zu diesen wissenschaftlich interessierten Kreisen zeigt sich auch in vielen weiteren Motiven des Malers. Hier erlangte Wright großen Ruhm. Da er außerhalb von London lebte und sich auf diese wissenschaftlichen Themen spezialisierte, war sein Einfluss auf andere Künstler allerdings sehr gering. So sind seine sogenannten „noctures" oder „Candlelight“-Gemälde, wie dieses, in der englischen Kunstlandschaft nahezu beispiellos.

Joseph Wright of Derby - Das Experiment mit einem Vogel in der Luftpumpe

Öl auf Leinwand, 1768, 183 x 244 cm, National Gallery, London


Experiment zur Demonstration des Luftdrucks, Magdeburger Halbkugeln

Zeichnung, 1672


Gerrit van Honthorst - Die Falschspieler

Öl auf Leinwand, 17. Jahrhundert, 125 x 190 cm, Museum, Wiesbaden


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