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Jean-Baptiste Regnault - Freiheit oder Tod

von Alexandra Tuschka

„Freiheit oder Tod“ - dieser Gemäldetitel drückt gleichsam das geltende Motto der französischen Revolution aus. 1793/94, als der Franzose Regnault sich diesem Thema annahm, war der große politische Umbruch bereits seit einigen Jahren in vollem Gange. Dieses Motiv wurde unter der sogenannten „Terrorherrschaft“ der Jakobiner in Auftrag gegeben und gehört zu den wenigen in Öl ausgeführten Propagandawerken der Revolution.

Ein nackter Jüngling schwebt im Bildmittelgrund über dem Erdball, der nur noch durch eine bläuliche Fläche ausgewiesen wird. Er ist frontal zu sehen, schaut den Betrachter fragend entgegen, die Flamme der Leidenschaft für die Idee der Revolution ist an seinem Kopf zu sehen. Seine weißen Flügel wiederum sind sanft gefärbt mit Rot und Blau. Zusammen mit dem Weiß der Flügel ergeben sie die Farben der "Tricolore", der jungen französischen Flagge und stehen bis heute für "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit". Die Arme ausgebreitet, verweist die Mittelfigur auf die zwei weiteren, die ihn zu beiden Seiten flankieren. Hier sehen wir zwei Personifikationen. Rechts – unschwer zu erkennen – den Tod mit der Sense auf einer matten braun-schwarzen Wolke. Die Sense als sein Attribut ist übergroß und gut zu sehen, in der Hand hält die Gestalt einen Lorbeerkranz. Seit der Antike ist dieser ein Symbol für den Sieg und die Macht. Links wiederum sitzt eine schöne Frau in antikem Gewandt auf einem Thron, hier wird die "Freiheit" dargestellt. Sie hält die phrygische Mütze, auch Jakobinermütze genannt, in die Höhe. Diese wurde im weiteren Sinne als Symbol für die Volksherrschaft gedeutet. Diese Symbole sind hier raffiniert vereint und auf zahlreichen zeitgenössischen Plakaten, Schriften und Bildern wiederkehrend.


In der anderen Hand hält die Dame ein Winkelmaß, ein ursprünglich im Bauwesen eingesetztes Werkzeug, was im Laufe der französischen Revolution zum Zeichen für Gerechtigkeit und maßvolles Handeln wurde. Zu ihren Füßen liegt ein Rutenbündel (nicht zu verwechseln mit einem Liktorenbündel, bei dem ein Beil seitlich herausragt). In diesem Fall sind vermutlich 83 Stäbe in die Farben der Tricolore eingebunden; sie standen für die 83 Departementes, die bei der Einteilung des Landes 1789 geschaffen worden sind. Damit steht das Rutenbündel als Sinnbild für vereinigte Kräfte des französischen Volkes und seine Souveränität. Gemäß ihrer ursprünglichen Funktion als Erkennungsmerkmal römischer Liktoren stehen Liktoren- und Rutenbündel für militärische Einsatzbereitschaft.

Die Figur in der Mitte steht für den Geist der Republik. Aussehen und Komposition wird Regnault auf seiner Rom Reise auf einem Fresko Raffaels in der Villa Farnesina zwischen 1770 und 1775 entlehnt haben. Bei Raffael ist Merkur zu sehen, der Götterbote. Bei Regnault wiederum bekommt die Gestalt etwas Fragendes und tritt stark in Kontakt mit uns als Betrachter. Auch die anderen beiden Figuren sehen uns an. Gemeinsam mit dem Gemäldetitel scheint es, als wollen sie uns vor die Entscheidung stellen - "Was wählst du - Freiheit oder Tod?". Die Arme des Jünglings könnten dabei ähnlich wie eine Waage fungieren. Die leichte Diagonale deutete dann an, dass der Tod schwerer wiegt als die Freiheit. Erwarten sie alle eine Entscheidung? Aber mal ganz ehrlich? Wer würde sich denn in Anbetracht dieses Werkes auf die rechte Seite positionieren? Die Betrachterentscheidung erscheint gänzlich überflüssig.


Man muss das Bild anders lesen: wir werden nicht vor die Wahl gestellt, ob wir Freiheit oder Tod wählen, sondern vor die möglichen Ausgänge der politischen Anteilnahme gestellt. Somit erlangt man – schließt man sich der Revolution an – entweder zu Freiheit, oder man stirbt. Im Tod wartet aber dennoch der Siegerkranz. Bei genauem Hinsehen erkennen wir nun auch, dass die schwarzen Flügel das Todes auch mit den Farben der Tricolore zu sehen sind. Man stirbt also im Sinne der Revolution und somit einen ehrbaren Tod. So gedeutet ist auch die Verwendung der Merkur-Figur plausibel eingebunden. So fragt der Jüngling uns nicht, was wir wählen, sondern er bringt, gleichsam dem antiken Boten, die möglichen Ausgänge auf uns zu. Seine Flügel umschließen beide Seiten gleichsam.


Diese geistige Haltung drückt sich auch in den bekannten Worten des Marat aus, der sagte: „Niemand verabscheut Blutvergiessen mehr als ich, aber um zu verhindern, dass das Blut in Strömen fliesst, dringe ich euch, einige Tropfen zu vergiessen.“ (10. Aug. 1792) In diesem Sinne ist das große Opfer der Toten eine Bedingung der Freiheit und nicht voneinander zu trennen. Der Betrachter wird aufgefordert, für beides bereit zu sein.


Die recht kleinen Maße des Hamburger Bildes von 60 x 49 cm mögen uns verwundern, handelt es sich doch um ein solch eindringliches Propagandawerk. Sie erklären sich aber schnell, da es sich bei diesem Werk um eine Kopie des heute verschollenen, drei Mal so großen Originals handelt.

Jean-Baptiste Regnault - Freiheit oder Tod

Öl auf Leinwand, 1794/95, 60 x 49 cm, Kunsthalle, Hamburg


Raffael - Merkur

Fresko, zwischen 1517 und 1518, Villa Farnesina, Rom


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