von Thyra Guenther-Lübbers
Ein Tondo! Dies ist die Bezeichnung für ein Rundbild. Rundbilder sind typisch für die italienische Renaissance. Raffael, ein großes Vorbild Ingres´, hat sie häufig für religiöse Themen verwendet. Ein Tondo in der Epoche des Klassizismus ist hingegen äußerst ungewöhnlich. Zunächst malte Ingres das Werk auf eine rechteckige Leinwand. Was genau ihn dazu bewog es rund auszuschneiden ist nicht überliefert. Fest steht aber, dass das runde Format dem Werk einen anderen Charakter verleiht. Der Betrachter/die Betrachterin nimmt die Szene nun wie durch ein Schlüsselloch wahr. Unfreiwillig schlüpft man in die Rolle eines Voyeurs. Das verleiht dem ohnehin schon erotisch aufgeladenen Bild noch mehr Spannung.
Das Bild zeigt circa 25 junge Frauen in einem Harems Hamam. Sie lagern unbekleidet auf orange-roten Kissen um ein Wasserbecken am linken Bildrand. Sie musizieren, tanzen, trinken Kaffee, nehmen Speisen zu sich oder beräuchern ihre Haare. Der Großteil der Damen jedoch entspannt sich in teilweise lasziven Posen. Ihre Haltungen lassen auch das Werk eine gewisse Trägheit und Entspannung ausstrahlen. Viele von Ihnen tragen Goldschmuck und für die orientalische Kultur typische Kopfbedeckungen. Das Tragen dieser Accessoires relativiert für das Auge des Betrachters ihre Nacktheit. Befeuert wird die Fantasie dessen allerdings durch zwei Räucher-Objekte. Mit dem Darstellen des Rauchs möchte Ingres den Geruchssinn des Betrachters wachrufen und ihn der Szene ein Stück näherbringen – wenn auch nur in Gedanken. Eine Kommunikation zwischen den Badenden und dem Betrachter findet jedoch nicht statt. Dieser Fakt versetzt diesen einmal mehr in die Rolle des Voyeurs.
Die Damen können in zwei Gruppen aufgeteilt werden. Die eine Gruppe bespielt den Vordergrund, die andere füllt den Hintergrund aus. Die Figuren im Vordergrund sind in einem helleren Licht dargestellt. Besonders vom Licht geküsst und damit hervorgehoben wird die Tschégour spielende Dame, die dem Betrachter den Rücken zukehrt. Ingres widmete diesem Rücken-Akt bereits 1808 ein eigenes Werk. Die Badende von Valpincon hängt ebenfalls im Musée du Louvre. Zwischen der Erschaffung der Badenden und der des Türkischen Bades liegen mehr als 50 Jahre. Die orientalische Harems-Thematik beschäftigte Ingres folglich sein gesamtes künstlerisches Leben über. Und das, obwohl er nie im Orient gewesen ist. Seine Darstellungen speisen sich einzig aus schriftlichen Quellen, wie Briefen und seiner Fantasie. Das türkische Bad kann als fulminanter Abschluss dieser andauernden Beschäftigung gesehen werden. Der Künstler zeigt hier noch einmal, dass er in der Lage ist weibliche Körper in allen erdenklichen Posen darzustellen. Böse gesprochen bedeutet das er reiht ein Akt-Model aus seinem Atelier an das Nächste. Dies hat zur Folge, dass die Damen, jede für sich, isoliert wirken und ihre Blicke ins Nichts zu verlaufen scheinen. Eine Kommunikation zwischen ihnen findet nur eingeschränkt und wenn durch Gesten und nicht durch Blickkontakt statt.
Der Harem beziehungsweise Haremsdamen sollten für die gesamte Bewegung des Orientalismus, die vor allem bei französischen und britischen Künstlern Anklang fand, das beliebteste Sujet bleiben, gerade weil sich darum so viele Sagen rankten und der Fantasie, was dort hinter verschlossenen Toren Atemberaubendes vor sich ging, keine Grenzen gesetzt waren. Durch den Orientalismus lösten die Haremsdamen die weiblichen Figuren der griechischen Mythologie als Personal der Akt-Werke ab. Durch die Personifizierung als eine solche Dame wurde die Darstellung des nackten weiblichen Körpers in einen anderen Kulturkreis verlagert und der westliche (männliche) Betrachter konnte sich, moralisch unbedenklich an diesem erfreuen.
Jean Auguste Dominique Ingres - Das türkische Bad
Öl auf Leinwand, 1862, 108 x 110 cm, Musée du Louvre, Paris
Jean Auguste Dominique Ingres - Das türkische Bad
Öl auf Leinwand, 1808, 98 x 146 cm, Musée du Louvre, Paris