von Alexandra Tuschka
Der Garten der Lüste ist ein monumentales Triptychon, das um 1500 von Hieronymus Bosch geschaffen wurde und als eines der rätselhaftesten Werke der Kunstgeschichte gilt. Es zeigt drei Szenen, die von links nach rechts zu lesen sind und die Erschaffung, das irdische Leben und die Verdammnis darstellen. Die drei Tafeln verbinden die Themen Paradies, Sünde und Hölle auf dramatische Weise und geben einen detaillierten Einblick in Boschs Vision des menschlichen Lebens und der Versuchungen. Aber schauen wir zuerst auf das geschlossene Werk.
Die Außentafeln von Boschs "Der Garten der Lüste" werden meist als Darstellung der Erschaffung der Welt am dritten Tag interpretiert, bei der die Erde in ihren frühen Stadien gezeigt wird. Die unberührte Vegetation beginnt das Land zu bedecken, doch menschliches und tierisches Leben fehlt noch. In der oberen linken Ecke findet sich eine kleine Figur Gottes, passiv auf einer Bibel sitzend, wobei er die Welt durch göttliches Wort erschafft. Neben ihm steht ein Zitat aus Psalm 33,9 "Denn er sprach, und es ward; er gebot, und da war es geschaffen." Die Erde selbst erscheint in einer durchsichtigen Kugel. Die umgebende Dunkelheit verweist auf die Vorstellung eines isolierten Kosmos, der noch keine Lebewesen aufweist und nur den göttlichen Schöpfer beherbergt.
Auch wenn heute die Innentafel viel berühmter ist als die Außentafel, muss man verstehen, dass die Kirchgänger diese nur selten zu sehen bekamen. Diese wurden nur zu besonderen Zeiten im liturgischen Kalender geöffnet. Dies geschah meist zu Hochfesten und besonderen Anlässen, wie Ostern, Weihnachten und Pfingsten, sowie an wichtigen Heiligentagen oder im Rahmen besonderer Messen und Andachten. Die geschlossenen Türen während der Fastenzeit etwa verstärkten die Spannung und das besondere Erlebnis des Festtages, wenn die Türen geöffnet und die aufwendig gestalteten Szenen im Inneren enthüllt wurden. In diesem Fall können wir nur vermuten, wie erstaunt die Betrachter auf die skurrilen Szenen im Inneren reagiert haben mögen. Aber schauen wir in Ruhe...
Öffnet man nun das Triptychon findet man auf der linken Seite das Paradies und die Präsentation Evas vor Adam. Dieser scheint soeben erst erwacht zu sein. Ob hier wirklich Gott zu sehen ist, oder doch eher Jesus als dessen Stellvertreter ist unklar. Gottvater wird seit der Renaissance und der Wiederentdeckung antiker Statuen meistens in der Manier der großen Philosophen gezeigt: bärtig und alt, so wie wir ihn auch auf der Außentafel erkennen. Die hier zu sehende Person gleicht hingegen der Darstellungsweise Christi: jung, mit braunem längerem Haar und bartlos. Jesus mit Adam und Eva im Paradies wäre allerdings eine einzigartige Kombination. Ist es nur ein erstes höchst unkonventionelles Motiv?
Das üppige Grün und der Mix aus heimischen und exotischen Tieren sowie Phantasiewesen sollen die Unschuld und Harmonie des Anfangszustands symbolisieren. Diese Szene enthält bereits Hinweise auf die Versuchungen, die folgen werden, beispielsweise durch seltsame und teils bedrohliche Tiere, die in das friedvolle Bild eingebettet sind und die kommende Sünde andeuten. Das friedvolle Zusammensein wird bereits durchbrochen, da bspw. die Katze vorne schon eine Maus erlegt hat. Mittig im Bild finden wir einen rosa Brunnen, dessen Form im Mittelteil wieder aufgenommen wird. Hier erscheint er noch harmlos, sprudelnd und von Vögeln belebt. Apropos - 25 Vogelarten konnten Forscher in diesem Werk identifizieren, was für ein genaues Naturstudium des Malers spricht.
Die zentrale Tafel ist die größte und detaillierteste und zeigt den titelgebenden "Garten der Lüste". Hier tummeln sich unzählige nackte Männer und Frauen in einem surrealen Landschaftsraum voller seltsamer Pflanzen, riesiger Früchte und fantastischer Kreaturen. Besonders die überdimensionalen Erdbeeren sind auffällig oft vertreten und stehen vermutlich für die Fleischeslust. Die Menschen scheinen sich sorglos dieser Lust hinzugeben, ohne moralische Bedenken, in einem Zustand des Hedonismus und Vergnügens. Diese Darstellung kann als Warnung vor den Sünden des Fleisches und der Flüchtigkeit des irdischen Vergnügens interpretiert werden. Doch die Ausgelassenheit trägt auch eine düstere Vorahnung der Konsequenzen. So erkennt man in der Brunnenarchitektur nun durch die Öffnung Menschen beim Liebesspiel sowie einen blanken Po, welches deutliche auf den moralischen Verfall hindeutet. Obwohl der Gesamteindruck nahezu heiter erscheint, besteht das Werk doch aus vielen, skurrilen Einzelszenen, an denen man sich kaum satt sehen kann. Ob die zentrale Tafel als moralische Warnung dient oder ein verlorenes Paradies darstellt, ist strittig.
Auf der rechten Tafel wird nun die Konsequenz der irdischen Freuden gezeigt – die Hölle. Bosch stellt eine düstere, bedrohliche Landschaft dar, in der grausame Bestrafungen und Qualen auf die Verdammten warten. Fantastische Dämonen und Monster quälen die Seelen der Sünder, und Bosch illustriert symbolträchtige Bestrafungen für jede Art von Sünde. Diese Szenerie ist geprägt von Feuer, Dunkelheit und albtraumhaften Kreaturen, die das Bild einer düsteren Hölle aus Boschs Perspektive zeichnen. So sehen wir bspw. unten links verschiedene Spiele; Karten, ein Backgammon und Würfel. Dies war einerseits in der damaligen Welt ein Inbegriff für Laster, andererseits könnte auch gemeint sein, dass die Dämonen um das Leben der Sünder spielen. Auffällig ist der sogenannte "Baummann" in der Mitte, dessen Gesicht auffällig mit dem Stil der Umgebung bricht und auch größer dargestellt ist. Durch die individuellen Züge wird hier manchmal ein Selbstportrait des Künstlers hineingelesen.
Boschs "Garten der Lüste" ist in seiner Symbolik vielschichtig und rätselhaft. Viele Kunsthistoriker interpretieren das Werk als Warnung vor den Gefahren der Sünde und als Darstellung der Konsequenzen menschlicher Ausschweifungen. So ein Werk ist freilich nur in Anbetracht des damals herrschenden Glaubens zu sehen, dass der Mensch den weltlichen Freuden abschwören solle und sonst seine ewige Strafe zu fürchten habe. Werke wie dieses hatten daher erzieherischen Charakter. Gleichzeitig ist das Werk auch ein Ausdruck der kreativen Fantasie Boschs, der die Welt durch seine Figuren und bizarre Details aus einer perspektivisch neuen Sicht darstellt. Dies inspirierte nicht nur die Symbolisten, sondern ist bis heute eines der berühmtesten Gemälden der Welt.
Hieronymus Bosch - Der Garten der Lüste
Öl auf Eichenholz, 1490-1510, 205,5 × 384,9 cm, Museo del Prado, Madrid