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Henri Regnault - Salome

von Claire Deuticke


Leicht verschmitzt, selbstsicher, ja beinahe herausfordernd blickt die Dargestellte mit ihren dunklen Augen unter der wilden Haarpracht dem Betrachter entgegen. Die dunklen Augen und das schwarze Haar stehen in einem Kontrast zu ihrer blassen Haut, die Wangen und Lippen besitzen eine leichte Rötung. Die rechte Schulter sowie das Dekolletee sind entblößt, die blasse Haut wirkt rein, beinahe porzellanartig. Die Dargestellte trägt ein golden leuchtendes Gewand, das locker auf der linken Schulter aufliegt und in fließenden Bewegungen ihren Körper umhüllt, es reicht bis auf den Boden. Der untere Teil des Gewand ist transparent und lässt die Umrisse ihrer Schenkel erahnen. Die nackten Knöchel und Füße sind graziös angewinkelt, sie trägt schwarz-rote Pantoffeln, aus denen sie jedoch herausgeschlüpft ist. Den rechten Arm hält die Abgebildete selbstbewusst, beinahe hochmütig in die Hüfte gestützt. An ihrem rechten Oberarm trägt sie einen Armreif mit dem Motiv zwei ineinander verschlungenen Schlangen. Die nackte Schulter ist leicht nach vorne geneigt, der Kopf angewinkelt. Die Körperhaltung verleiht ihr eine gewisse Erotik und Gelassenheit. Die in Gold gekleidete Dame sitzt auf einer mit Gold Ornamenten aufwendig verzierten Truhe. Auf ihrem Schoß ruht ein großes goldenes Tablett, auf dem ein Schwert in einer ebenso goldverzierten Scheide prangt. Mit ihrer linken Hand umgreift die verschmitzt schauende Dame das Schwert, der Griff wirkt fest und entschlossen. Den Hintergrund ziert ein großes, golden leuchtendes Tuch, das den gesamten Bildraum einnimmt und die Abbildung in ein warmes, helles Licht taucht. Der Boden des dargestellten Raumes wird von einem rot-blau geknüpften Teppich ausgefüllt, der zum Teil von einem Tierfell in Leopardenmuster verdeckt wird. Die dargestellten Gegenstände wirken allesamt sehr kostbar und aufwendig hergestellt, die gesamte Abbildung zeugt von einer sehr reichhaltigen Ausstattung. Insbesondere die Textilien verleihen dem Werk eine intensive Plastizität.

Die freizügige, selbstbewusste Abbildung der Frau sowie das fest umgriffene auf dem Tablett präsentierte Schwert weisen darauf hin, dass es sich bei der Dargestellten um Salome handelt - einer historischen Frau aus der Antike, die heute besonders für ihre Erotik und Grausamkeit bekannt ist. Der römisch-jüdische Historiker Flavius Josephus beschrieb sie in seinem Werk „Antiquitates ludaicae“ aus dem Jahr 93 oder 94 n.C. als die Tochter der Herodias. In der späteren Tradition wurde dieser Name mit der in den Evangelien erzählten Geschichte der Ermordung des „Johannes des Täufers“ in Zusammenhang gebracht, obwohl dort lediglich von der „Tochter der Herodias“ die Rede ist, der Name „Salome“ wird nie erwähnt. Laut der biblischen Erzählung im Neuen Testament (MT 14, 1 – 12 und Mk 6, 14 – 29) begehrte Herodias den Tod des Johannes des Täufers, da dieser die Ehe zu ihrem Schwager Herodes Antipas kritisierte. Anlässlich einer Geburtstagsfeier des Herodes führte die Tochter der Herodias, bei der es sich laut der antiken Schrift Joseph Flavius um Salome handelt, einen Tanz auf, mit dem sie die Anwesenden derart in Verzücken versetzte, dass Herodes ihr schwor: „Was du auch verlangst, ich will es dir geben, und wenn es die Hälfte meines Reiches wäre.“ (Mk 6,17 - 29). Das Mädchen fragte ihre Mutter, was sie sich wünschen solle, und diese flüsterte ihr das eigene Begehren ein. Sie solle den Kopf des Johannes verlangen. Diesem Wunsch konnte sich Herodes Antipas nicht verweigern. Er ließ Johannes köpfen und das Haupt auf einer Schale der Tänzerin, Salome, bringen. Insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts galt Salome als eine christlich – mythologische Frauengestalt, die in der Kunst, Literatur und Musik zahlreich dargestellt wurde – in der Regel als Modell der puren Erotik und idealer Schönheit aber auch Inkarnation weiblicher Grausamkeit. Häufig wird sie mit dem Begriff der „Femme fatale“ gleichgesetzt, einem verführerischen Frauentypus, mit magisch-dämonischen Zügen ausgestattet.


Auch Henri Regnault stattete „seine Salome“ mit den klassischen Schönheitsidealen sowie der Freizügigkeit und Verschmitztheit einer „Femme fatale“ aus, die gelassen und hochmütig über das Schicksal eines Mannes wacht. Die Erotik und Schönheit der Dargestellten wird in Regnaults Gemälde durch die kostbar ausgestattete Szenerie mitsamt der teuren Textilien und den leuchtend goldenen Farben untermalt. Neben der Rolle der „Femme fatale“ entspricht die Dargestellte einem weiteren Stereotyp: Dem der sogenannten „belle juive“ – einer Männerverführenden, erotischen, boshaften Jüdin, als Inkarnation der Grausamkeit, die häufig mit der „Femme fatale“ gleichgesetzt wird, sich jedoch ausschließlich auf jüdische Frauen bezieht und in diversen Werken, insbesondere in der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts zu finden ist. Auch wenn von den Erstellern der Werke vermutlich nicht beabsichtigt, so lässt sich doch sagen, dass diese Art von Darstellungen jüdischer Frauen die Verbreitung eines antisemitischen Stereotyps der männerverführenden, grausamen Jüdin, der auch heute noch in diversen Netzwerken kursiert, förderte. Insbesondere bei Werken wie diesem ist es daher notwendig, sie auch einer kritischen Betrachtung zu unterziehen und sie bspw. mit einen Hinweis auf den antisemitischen Stereotyp der „belle juive“ zu markieren.


Henri Regnault - Salome

Öl auf Leinwand, 1870, 160 x 102,9 cm, Metropolitan Museum of Art, New York

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