von Frauke Maria Petry
Das Ölgemälde „Atelier des Künstlers“ malte Gustave Courbet in angeblich nur sechs Wochen. Zu sehen sind mehrere Personen in einem Innenraum. In der Bildmitte sitzt ein Mann und hält eine Landschaft auf einer großen Leinwand fest. Hinter ihm steht eine nackte Frau, die ein weißes Laken vor ihre Brust hält. Neben dem Künstler steht ein Junge und sieht ihm zu. Am Boden spielt eine Katze. Die Personengruppe rückt durch Position, Farbaufteilung und Hell-Dunkel- Kontrast ins Zentrum des Bildgeschehens. In der rechten Bildecke stehen einige Menschen und blicken aufmerksam auf die zentrale Bildgruppe. Ein Mann sieht in ein Buch; ein Pärchen flirtet miteinander. Am linken Bildrand befindet sich eine weitere Personengruppe, die zum Großteil sitzt. Die Menschen scheinen in sich gekehrt zu sein und dem Maler wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Ein Hund wohnt der Gruppe bei; Instrumente liegen am Boden. Im Hintergrund ist ein männlicher Akt zu sehen. Wie der vollständige Titel des Werks „L'Atelier du peintre. Allégorie réelle déterminant une phase de sept années de ma vie artistique et morale“ verrät, handelt es sich bei der Szene um das Atelier Courbets als sein künstlerisches Schaffen. Courbet bezeichnet das Bild als „ Allegorie “. In dem Gemälde hält der Künstler Persönlichkeiten fest, die ihn in sieben Jahren seines Künstlerlebens begleitet haben.
Unter der Personengruppe zur Rechten befinden sich Freunde, Mitarbeiter und Kunstliebhaber Courbets – darunter das bärtige Profil des Mäzens Alfred Bruyas oder der Philosoph Proudhon. Auf dem Schemel sitzt der Kunstkritiker Champfleury und Baudelaire studiert das Buch. Während das edel gekleidete Paar die Kunstliebhaber im Allgemeinen symbolisiert, stehen die Liebenden für die freie Liebe. Links vom zentralen Bildgeschehen ist der Gegensatz verbildlicht – das alltägliche Leben kontrastiert mit der Kunstwelt. Verbildlicht sind Elend, Armut, Reichtum und Ausbeutung durch einen Geistlichen, einen Kaufmann, einen Jäger (welcher mit Napoleon III. Ähnlichkeiten aufweist) sowie einen Arbeiter und eine Bettlerin. Bei dem nackten Mann im Halbdunkel handelt es sich um eine Gliederpuppe. Sie wurde zum Studium von Haltungen und Proportionen verwendet. Die Figur ist nicht zufällig aus dem Blickfeld des Malers verbannt. Sie stellte für Courbet die wirklichkeitsferne Tradition der Kunstakademien dar. Er prangert die klassische Ausbildung an. Unterstützt wird diese Aussage von dem weiblichen Akt im Bildzentrum. Von Zeitgenossen wird behauptet, dass es sich dabei um eine Allegorie für die Muse der Wahrheit handelt. Der dargestellte Künstler ist selbstverständlich niemand anderes als Courbet selbst, wobei unklar bleibt, wer die Personen in seiner unmittelbaren Nähe sind. Denn Familie hatte der Künstler nicht.
Das gesamte Ölgemälde ist ein Manifestbild. Courbet selbst geht dabei die Position eines Vermittlers zwischen Alltagswelt und Kunstwelt ein. Damit wird die soziale Funktion eines Künstlers veranschaulicht. Durch die Größe verleiht Courbet seinem Gemälde den Rang und das Format eines Historienbildes. Er selbst sagte: „Die Welt kommt in mein Atelier, um sich malen zu lassen“ Einerseits sind die Figuren dadurch lebensgroß, andererseits wurde das Bild aufgrund dessen für die Weltausstellung 1855 abgelehnt. Daraufhin zieht Courbet sein gesamtes Werk von der Veranstaltung zurück und richtet in unmittelbarer Nähe im „Pavillon des Realismus “ parallel eine eigene Ausstellung aus.
Gustave Courbet - Das Atelier des Künstlers
Öl auf Leinwand, ca. 1854 / 1855, 361 x 598 cm, Musée d'Orsay in Paris