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George Seurat - Der Zirkus / Auf der Galerie

von Alexandra Tuschka


"Manege frei!" scheint der Zirkusdirektor rechts gerufen zu haben und schaut dem wilden Treiben in seinem Zirkus stolz zu. Mit seiner Peitsche hat er soeben zugeschlagen; das Pferd sieht etwas gehetzt aus. Anmutig hebt die Artistin darauf im gelben Flattergewand ihre Arme - und sogar ein Bein - und scheint auf dem Schimmel durch die runde Manege zu schweben; ihr Fuß hat kaum Haftung. Ein Clown, ebenso in Gelb, diesmal im Ganzkörperkostüm ist derweil hinter ihr im Flug zu sehen. Ein weiterer Clown ist hinter diesem angeordnet, er lacht das Publikum an. Ein dritter ist vorne als halbe Rückenfigur zu sehen und zieht am Vorhang oder einem Tuch. Die Zirkusfiguren lächeln und strahlen, aber die Reaktion des Publikums ist etwas verhalten. Ausverkauft ist die Vorstellung auch nicht, auf der Tribüne ist noch recht viel Platz; ein paar Musiker begleiten das Spektakel oben rechts. Man kann schnell erkennen, welche Plätze die teuersten waren; vorne sitzen fein zurechtgemachte Damen auf Bänken, während oben die einfachen Arbeiter sich über das Geländer lehnen und offenbar stehen müssen.


Das gesamte Werk ist warmen und gelblichen Farbspektrum angeordnet. Typisch für Seurats Pointilismus oder auch "Neoimpressionismus" sind die einzelnen Farbpunkte, die sich erst mit etwas Abstand vor dem Gemälde zu einer Farbfläche vereinen. Mit dieser Maltechnik war Seurat seinerzeit innovativ und sicherte sich kunstwissenschaftliche Relevanz. Er war der Meinung, dass gemischte Farben weniger Intensität besitzen. Dies war aber nicht nur des rein künstlerischen Interesse gewidmet. Seurat interessierte sich auch für die wissenschaftlichen Ideen bspw. von Charles Blancs "Grammaire des arts du dessin" aus dem Jahre 1867, der über diese Mischungseffekte von Farben schrieb sowie von Michel-Eugéne Chevreul, der ebenso über die Effekte von Farben schrieb und wie diese sich gegenseitig beeinflussten. Seurat stützt sich zudem auf die Theorien von Charles Henry über die emotionale und symbolische Bedeutung von Linien und Farben. Die emotionale Wirkung des Werkes ist der strengen Perspektive übergeordnet. So sehen wir den runden Manegenausschnitt, aber stringent horizontale Zuschauertribünen.


Inspiriert vom "Spektakel" im weitesten Sinne waren viele der Impressionisten. Toulouse-Lautrec machte sich zum Hausmaler des Moulin Rouge, auch Degas und Renoir besuchten große Tanzveranstaltungen, die sie häufig verbildlichten. Der Zirkus Fernando befand sich in Montmarte dieser Zeit und wird für Seurat, der sein Atelier ganz in der Nähe besaß, die Inspirationsquelle gewesen sein. Er inspirierte Seurat insgesamt drei Mal zu Zirkusthemen, die Parade 1887/88 und Le Chahut (Das Hickhack) 1889/90.

"Manege frei!" hieß es dann für das Werk 1891, welches fast 2m an Höhe misst, im "Salon de Indépendents", als Seurat dieses, noch unfertige Werk ausstellte. Es sollte sein letztes Gemälde bleiben und - obwohl heiter - ist es unter tragischen Umständen entstanden. Nur wenige Tage später starb er an Diphterie mit nur 31 Jahren. Seine Freundin Madeleine Knobloch war gerade erneut schwanger. Nur zwei Wochen nach Seurat starb auch dessen Sohn.


Künstlerisch inspiriert wurde unter anderem der deutsche Maler Ernst Ludwig Kirchner, der dem Werk allerdings die Leichtigkeit nahm. Das viel zu große Pferd passt gerade so in die Manege, die nackte Frau sieht eher exponiert als freudig aus und durch die abstrahierten Formen verlieren die Gesichter Identität. Die Farbwahl fiel auf Rot, Grün und Schwarz, welches die beunruhigende Stimmung verfestigt. Kirchner führt so die Vergnügungssucht der bürgerlichen Gesellschaft ad absurdum. Während bei Seurat eine Heiterkeit unterlegt ist, wirkt Kirchners Bild schwer und bedrückend. Die Figuren hier sind zu hohlen Marionetten verkommen.

George Seurat - Der Zirkus / Auf der Galerie

Öl auf Leinwand, 1891, 185 x 152,5 cm, Musée d'Orsay, Paris


Ernst Ludwig Kirchner - Zirkus

Öl auf Leinwand, 1913, 119,8 x 99,8 cm, Pinakothek, München


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