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Georg Scholz - Zeitungsträger oder "Arbeit schändet"

von Alexandra Tuschka


Vater und Sohn, dürre und trostlos trotten mit ihren Zeitungen unter dem Arm - dem "Tagblatt" der "Badischen Morgenpost" aus dem Bild nach links heraus, dem gegenüber fährt ein in kräftigem Rot gemalter Wagen mit einem nicht minder kräftigen Herren aus dem rechten Teil des Bildes heraus. Er ist offensichtlich wohlhabend. Beleibt, mit Hut, Monokel, Ledermantel und Fliege ausgestattet, hält er noch zusätzlich eine Zigarre in der Hand - ein reinstes Luxusprodukt. Das Automobil löste seit dem Ende des 19. Jahrhunderts nach und nach die Kutschen ab, ein solch schicker Wagen, wie wir ihn hier sehen ist mit einem Porsche der heutigen Zeit gleichzusetzen. Hingegen sind die beiden Personen links zu Fuß unterwegs, ausgezehrt und ungepflegt. Auf der Jacke des Alten sieht man noch einen Flicken. Die Profilansicht beider erlaubt harte Kanten. Der Vater senkt den Blick, das Kind schaut wortlos geradeaus. Ein Industrieschornstein mit schwarzem Rauch kennzeichnet eine Vertikale, welche die Figuren voneinander trennt. Diese kompositorischen Kontraste - ausgedrückt durch Richtung, Bildteil, Farbgebung, Größen und auch Bildtiefe verdeutlichen die gesellschaftliche Kluft der Nachkriegsjahre 1920/21, in welchem das Bild entstand. Scholz setzte sie bewusst ein.

Die Figuren sind stark überzogen. Besonders der dicke Reiche ist einem Schwein recht ähnlich geworden. Man kann seine Nasenlöcher von unten sehen, die hervorstehenden Zähne und die prallen Lippen. Das Kinn verschwindet in der Speckfalte. Auch die Physiognomie der anderen beiden wirkt typenhaft. Wir haben es also nicht mit einer realitätsnahen Abbildung zu tun, sondern mit einem symbolhaften Gesellschaftsbild. So befinden sich hier einerseite ein Repräsentant des kapitalistischen Ausbeuters, meistens aus der industriellen Oberschicht, der die Umstände der Nachkriegsgesellschaft auszunutzen weiß. Dieser ist überhaupt nicht bescheiden, sondern glotzt unverschämt und stolz aus seinem Vehikel. Ihm gegenüber die Verlierer der Gesellschaft. Welche Geschichte den Mann zu diesem "Job" gebracht hat, wird nicht deutlich. Nur die harte Realität bekommt hier einen Platz. Die Trostlosigkeit wird noch durch die skizzenhaft ausgearbeitete Umgebung mit Schornstein, Fabriken und Gasspeicher unterstrichen.

Damit kann man Scholz deutlich als einen Maler der "Neuen Sachlichkeit" werten, die den sozialen Realismus thematisieren und Arbeiter, Unternehmer, Soldaten, leichte Mädchen und ähnliche "Großstadtfiguren" zu ihren Protagonisten machten. Ähnlich wie George Grosz nutzte auch Scholz seine Malerei als Stimme gegen die Ungerechtigkeit. Denn der erste Weltkrieg und der Zusammenbruch aller altem Systeme brachten eine neue, wenig gerechte Ordnung hervor. Der Begriff jedoch entstand erst 1923 als der Direktor der Kunsthalle Mannheim, Gustav Hartlaub, auf der Suche nach Künstlern war, die "in den letzten zehn Jahren weder impressionistisch aufgelöst, noch expressionistisch abstrakt, weder rein sinnenhaft äußerlich, noch rein konstruktiv innerlich“ gemalt hätten. Er prägte diesen Begriff. Scholz steuerte - mitsamt vieler anderer Größen wie Max Beckmann und Otto Dix - mehrere Werke bei.


Auch Scholz hatte im 1. Weltkrieg gedient und eine nüchterne Weltsicht entwickelt. 1919 war er Gründungsmitglied der Künstlergruppe RIH, die noch nah am Dadaismus und Kubismus arbeitete. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich viele Jahre mit Entwürfen für Zigarrenkisten, Reklame und Illustrationen für Kinderbücher. 1930 dann erhielt er eine Professur, die er aber 1933 wieder verlor, da die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Naheliegend, dass seine allzu starke Gesellschaftskritik zu der "entarteten Kunst" gezählt wurde. Bis zum Kriegsende verlebte Scholz in wirtschaftlicher und gesundheitlicher Not und großer Angst. 1945 dann wurde er - aufgrund seiner politischen Haltungen - von der französischen Besatzungsmacht zum Bürgermeister von Waldkirch ernannt; starb aber bereits 40 Tage danach an Herzversagen.

Georg Scholz - Zeitungsträger oder "Arbeit schändet"

Aquarell und schwarze Kreide, 1920/1921, 39,9 × 49,0 cm, Staatliche Kunsthalle, Karlsruhe


Georg Scholz - Von kommenden Dingen

Ölgemälde, 74,9 x 96,9 cm, 1922, Standort unbekannt



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