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Franz Marc - Der Turm der blauen Pferde

von John Hinnerk Pahl


Das 1913 entstandene Ölgemälde „Der Turm der blauen Pferde“, 200 x 130 cm groß und seit 1945 verschollen, ist Teil eines großen Unternehmens. Sein Schöpfer Franz Marc plante Zeit seines Lebens, „Symbole zu schaffen, die auf die Altäre der kommenden geistigen Religion gehören und hinter denen der technische Erzeuger verschwindet“[1]. Schauen wir uns sein verschollenes Hauptwerk an und befragen wir es nach seinem Charakter als „Kultbild“:

Wir sehen vier Pferde in schräger Frontalansicht, die sich nach hinten hin auftürmen. Sie wirken in Bewegung und wenden ihre Köpfe teils schwungvoll nach rechts. Anders als noch im 1911 entstandenen Werk „Rote Pferde/Weidende Pferde IV“ tritt die Plastizität der Tiergestalten deutlich zurück zugunsten einer stark abstrahierenden Darstellungsweise. Die Rundungen der Pferdekörper gehen über in kristalline Formen- und Liniengeflechte, die das Vierergespann gleichsam zu einem einzigen Körper verzahnen. Der von tiefblauen Farben dominierte „Turm“ kontrastiert in der Farbigkeit mit dem fast bis zur Ungegenständlichkeit abstrahierten, von warmen Gelb-, Rot- und Grüntönen geprägten Hintergrund. Doch bewirken auch hier die übergreifenden Formen- und Liniengeflechte ein Zusammenwirken zu einem einzigen Kontinuum. Ein Regenbogen oben links vor dem Gelb des Hintergrunds korrespondiert mit einer Mondsichel unten rechts im Brustbereich der vorderen Pferdegestalt.

Das große Unternehmen des Franz Marc bestand darin, für die gesamte Menschheit die „Weltanschauung in Weltdurchschauung“[1] zu verwandeln, eine „intuitive, primäre Fähigkeit“[2] wiederzuerlangen, in deren Besitz sich der Künstler wähnte. Er habe etwas „Geheimnisvolles, Glückliches in der Tasche“, vertraute er seiner Frau Maria an.[3] „Der unfromme Mensch, der mich umgab, (vor allem der männliche) erregte meine wahren Gefühle nicht, während das unberührte Lebensgefühl des Tieres alles Gute in mir erklingen ließ. Und vom Tier weg leitete mich ein Instinkt zum Abstrakten, das mich noch mehr erregte“.[4]


Der „Turm der blauen Pferde“ nimmt einen Zustand der geläuterten Menschheit im Einklang mit der Schöpfung vorweg, der im schroffen Gegensatz zur von Marc empfundenen Gegenwart steht. „Der Fortschritt besitzt heute alle Eigenschaften eines Religionssystems“, bemerkt er in seiner Schrift „Das abstrakte Theater“ von 1914, dieses sei aber eine „Religion der Selbstverstümmelung“. Noch auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs hofft er dagegen auf das Aufkommen einer neuen Ära der „Lust des reinen Wissens um die Dinge, die Erlösung vom Stoffglauben, Beherrschung und Überwindung des Stoffes“[5]. Der „Turm der blauen Pferde“ ist das Kultbild eines Glaubens, der ein hehrer Wunsch geblieben ist. Am 4. März 1916 ist Franz Marc in Frankreich gefallen.

Franz Marc - Der Turm der blauen Pferde

Öl auf Leinwand, 1913, 200 × 130 cm, verschollen seit 1945


Franz Marc - Rote Pferde/Weidende Pferde IV

Öl auf Leinwand, 1911, 121 x 183 cm, Havard Art Museum, Cambridge

[1] Franz Marc: Die ›Wilden‹ Deutschlands, München 1912. [2] Aphorismus 35. [3] Brief 217, 1916. [4] Brief 168, 1915. [5] Ebd. [6] Franz Marc: ›Das geheime Europa‹, November 1914.


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