von Sarah Baur
Der britische Maler und Dichter Dante Gabriel Rossetti war ein dominierendes Mitglied der sogenannten Präraffaelitischen Bruderschaft, eine 1848 in London gegründete Künstlergruppe, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, die englische Kunst zu reformieren. Die Gruppe lehnte die akademisch gelehrten Maltraditionen, die Raffael und dessen Zeitgenossen zum Vorbild hatten, ab und wandte sich zurück zur Manier des italienischen Quattrocento. Ihre Inspiration schöpften sie vor allem aus mittelalterlichen Sagen und Literatur nationaler Dichter wie William Shakespeare oder Alfred Lord Tennyson. Die Gruppe etablierte sich zu einer der einflussreichsten nationalen Kunstströmungen, deren Themenwahl auch von späteren Künstlern noch übernommen wurde.
Rossettis Werk Beata Beatrix entstand zwischen 1864 und 1870 anhand von Skizzen seiner Frau Elizabeth 'Lizzie' Siddal, die 1862 Suizid beging. Lizzie war damals ein beliebtes Modell der Präraffaeliten gewesen und unter anderem von John Everett Millais für seine Ophelia porträtiert worden.
Rossetti kreierte mit Beata Beatrix ein Denkmal an seine verstorbene Frau, in dem er sie in einem andächtigen Gemälde als Beatrice, aus Dante Alighieris Gedichten La Vita Nuova, beim Gedanken an den eigenen Tod inszeniert. Auch Beatrice stirbt in diesen teilweise autobiographischen Werken, in denen Dante seine unerwiderte Liebe und Trauer über sie verarbeitete.
Rossettis Bild zeigt den transzendenten Moment zwischen zwei Zuständen, den Punkt des Übergangs zwischen Leben und Tod. Die trance- bzw. traumartige Sequenz wird durch die fast neblig verschleierte Umgebung der blassen Protagonistin hervorgehoben, die selbst durch ihre Haltung, die geschlossenen Augen und den leicht geöffneten Mund wie in Ekstase erscheint. Der Künstler erklärte selbst: „Beatrice wird sichtbar in den Himmel entrückt, sieht quasi durch geschlossene Lider hindurch […]“. Die Entrückung in den Himmel symbolisiert im Bild auch eine rote Taube, ein Symbol für den Heiligen Geist, die zu Beatrice' Schoß herbeifliegt und sogar von einem kleinen Heiligenschein gekennzeichnet ist. In ihrem Schnabel trägt sie eine weiße Mohnblume, die im allgemeinen ein Sinnbild sowohl des Schlafes als auch des Todes ist. Gleichzeitig findet sich darin auch ein Verweis auf den Tod Elizabeths, die sich durch eine Überdosis Laudanum das Leben nahm. Die Sonnenuhr im Bild neben Beatrice deutet mit einem Schatten auf deren Todeszeitpunkt neun Uhr (am 9. Juni 1290). Rechts im Hintergrund steht der trauernde Dante der seinen Blick zur Seite wendet, wo sich eine engelhafte Personifikation der Liebe in rotem Gewand befindet. In ihrer Hand leuchtet ein Herz in Flammen, das den Schmerz und die Intensität des Momentes demonstriert. Das Rot im Gewand der Liebe als auch in dem Gefieder der Taube sind Ausdruck der leidenschaftlichen Gefühle und rufen trotz der Melancholie des Geschehens eine gewisse Wärme hervor. So auch das Sonnenlicht, das im Hintergrund im hellen Schein eine Brücke erfasst, bei der es sich um die Ponte Vecchio in Florenz handelt, um an den Schauplatz in Dantes Geschichte zu erinnern. Die Sonnenstrahlen leuchten auch hinter Beatrice noch auf und umrahmen sie mit einem goldenen Schein, der den Moment der Transzendenz noch einmal verbildlicht.
Durch die ästhetische Inszenierung der poetischen Schilderungen seines Namensgenossens Dante, vermochte Rossetti seinem eigenen Schmerz und der Trauer um seine Liebe Ausdruck zu verleihen und so ein ehrwürdiges Andenken an Elizabeth Siddal zu verewigen.
Dante Gabriel Rossetti – Beata Beatrix
Öl auf Leinwand, 1864 - 1870, 86,4 x 66 cm, Tate Britain, London