von Alexandra Tuschka
Ein kleines hölzernes Boot mit 9 Passagieren fegt über das Wasser, um einem Weiteren zu Hilfe zu eilen. Denn ein Hai hat sich dem Boot genähert und somit auch dem Mann im Wasser, dessen Leben nun bedroht wird. Das Raubtier hat bereits sein Maul aufgerissen, um zuzubeißen. Ein Bein hat der Hai scheinbar bereits zu fassen bekommen, das Wasser ist schon mit Blut versetzt. Die Männer auf dem Boot sind in heller Aufregung. Zwei versuchen, den Treibenden in das Boot zu ziehen, ein Dritter wirft ein Seil aus und ein Nächster greift das Tier mit einem Schiffshaken an. Die Ruderer manövrieren das Boot in die richtige Position. Im Hintergrund sind große Schiffe im Hafen zu sehen, die die Szene rechts und links flankieren.
Es gibt heute drei Versionen des Gemäldes, die eine Auftragsarbeit des Geschäftsmannes Brook Watson gewesen sind. Es war eine Herausforderung für den ansonsten als Portraitmaler bekannten John Copley. Das Motiv stellte eine Neuheit dar - es war zwar im Stile heroischer Historienmalerei gemalt, verband sich aber mit einem weltlichen Motiv. Der Auftraggeber hat eine Kindheitserinnerung malen lassen: Als 14-Jähriger wurde Brook Watson beim Schwimmen im Havana Harbor von einem Hai angegriffen. Beim ersten Angriff wurde er am Bein verletzt, beim zweiten verlor er ein Bein und musste seitdem eine Prothese tragen und beim dritten – hier gezeigten – Angriff konnte der Hai von seinen Gefährten vertrieben werden. Obwohl der Maler selbst den Havana Harbor nicht gesehen hat, griff er für das Werk auf Drucke und Karten dieser Umgebung zurück. In diesem Werk ist der Ausgang zwar offen, wir dürfen jedoch hoffen, dass die Männer den Nackten retten können.
Die Nacktheit des Protagonisten, seine Pose und das helle, blonde, lange Haare, was sich im Spiel des Wassers homogen einfügt, erinnern an die Darstellung antiker Götter oder Halbgötter. Die expressive Geste gibt zudem ein Muskelspiel frei. Ikonographisch kann die Geste des stehenden Mannes rechts mit Werken des heiligen Michaels oder Georgs in Verbindung gebracht werden. Der Rachen des Hais wird manchmal mit dem Tor zu Hölle assoziiert. In Wahrheit aber, war Watson ein Waisenkind und erst 14, als die Bootsmänner ihn knapp vor dem dritten Angriff des Hais bewahren konnten. 1778, in der Royal Academy ausgestellt, war das Werk ein sofortiger Erfolg und brachte dem Maler ein kleines Vermögen ein.
John Singleton Copley - Watson und der Hai
Öl auf Leinwand, 1778, 182,1 x 229,7 cm, National Gallery in London