von Alexandra Tuschka
„Und sännest du auch vom Morgen bis zum Abend, vom Abend bis zur sinkenden Mitternacht, dennoch würdest du nicht ersinnen, nicht ergründen, das unerforschliche Jenseits.“ (Friedrich Februar 1809)
Jenseits – das ist der Ort, an den Caspar David Friedrich viele seiner Liebsten verloren hat. Einer seiner Brüder, Johann Christoffer, ließ sein Leben um ihn zu retten. Als beide Jungen ungefähr zwischen 12 und 14 Jahre alt waren, gingen sie Schlittschuhlaufen. Caspar David brach auf dem Eis ein, sein Bruder rettete ihn, überlebte aber nicht. Nun, 1808, im Entstehungsjahr des Bildes, muss der Maler auch seine geliebte Schwester Dorothea ziehen lassen. Nur vier der insgesamt neun Geschwister leben noch, auch die Mutter ist schon lange tot. Der Vater Adolph Gottlieb Friedrich stirbt kein Jahr später. Wie verkraftet das ein Mensch? Was gibt einem Menschen Halt? Caspar David Friedrich war ein Gläubiger, ein zutiefst Natur- und Heimatverbundener Mensch, der die Landschaften Deutschlands oft zu Fuß ergründete und in ihnen Halt fand. Mit Frauen hatte Friedrich so seine Probleme, heiratet spät, bekam dann auch Kinder.
Seine Bilder zeugen oft von einer Naturromantik, der Bedeutungslosigkeit des Menschen im großen Kreislauf des Lebens. Seine Rückenfiguren sind Einladungen zur Identifikation, aber auch ein Ausdruck der absoluten Austauschbarkeit des Einzelnen. Dieses Werk drückt diese Aussage in Reinform aus. An einem undefinierten Strand, vielleicht Ostsee, aber eigentlich überall, spüren wir den rauen Wind, wir hören schon die Möwen schreien, in der Ferne verdunkelt sich der Himmel, das Meer ist fast schwarz. Der Bildausschnitt wirkt beliebig, rechts und links an den Rändern könnte es ewig so weitergehen. Einzig und allein ein am Strand stehender Mensch, in einen langen Mantel gehüllt, durchbricht die Horizontalen. Er hat die Hände andächtig, vielleicht zum Gebet – gefaltet. Dieser Mensch macht aus einem, ohne ihn fast abstrakt wirkenden Gemälde, ein zutiefst meditatives. Entfernt man den Menschen aus der Szene, wird das Bildthema abstrakt, und wirkt fast modern.
Hier ist nicht unbedingt ein „Mönch“ zu sehen ist, wie der offizielle Bildtitel uns vorgaukelt. Es ist selten, aber zu diesem Werk hat sich Friedrich selbst geäußert und spricht hier lediglich von einem „Mann“. Das eingangs gewählte Zitat entstammt ebenso dieser Zeit und bezeugt Friedrichs Beschäftigung mit dem Leben und Sterben. Auch der hier dargestellte Mensch könnte sogleich von der Zeit weggewischt werden, der Strand, das Meer, der Himmel – sie würden keine Notiz davon nehmen. Eine neue Generation von Möwen würde die ewig gleichen Schreie loslassen.
Dieses Werk ist mit seinem Pendant zu verstehen, mit welchem es bei der Berliner Akademieausstellung im Herbst 1810 zu sehen war: der "Abtei im Eichwald". Beide Werke haben identische Maße. Auf diesem Bild ist eine Gruppe Mönche bei einer Prozession zu sehen. Dem Sarg folgend führt der Blick ins Bildinnere, wo das offen Ruinenportal die Männer auf den Klosterfriedhof führt. Friedrich selbst beschreibt in einem Brief: „Unter, mit Schnee bedeckten Grabmälern, und Grabhügeln, stehen die Überreste, einer gothischen Kirche, umgeben von uralten Eichen. Die Sonne ist untergegangen, und in der Dämmerung leuchtet über den Trümmern stehend, der Abendstern und des Mondes Viertel. Dicker Nebel deckt die Erde, und wärent man den obern Theil des Gemäuers noch deutlich sieht, werden nach unten, immer ungewisser, und unbestimmter die Formen, bis endlich sich alles, je näher der Erde, im Nebel verliehrt. Die Eichen streken nach oben die Arme aus dem Nebel, während sie unten schon ganz verschwunden.“
Inwiefern beide Bilder inhaltlich aufeinander bezogen werden können, ist Gegenstand der Forschung. Es könnte sein, dass sie sich zeitlich aufeinander beziehen. Womöglich ist in dem Sarg unser Mann am Meer zu sehen. Manche Wissenschaftler gehen sogar davon aus, dass Friedrich hier sein eigenes Begräbnis inszenierte.
Bei der Ausstellung waren die Reaktionen gemischt. Die Sehgewohnheit wurde einerseits sehr irritiert, wie viele zeitgenössische Zeugnisse belegen. Helene von Kügelgen bspw. sagte: "Auf der ewigen Meeresfläche sieht man kein Boot, kein Schiff, nicht einmal ein Seeungeheuer, und in dem Sande auch nicht ein grüner Halm. Nur einige Möwen flattern umher und machen die Einsamkeit noch einsamer und grausiger." - Andererseits berührten die Motive unweigerlich viele Betrachter. Carl Gustav Carus beschrieb das Werk 1825 als „vielleicht das tiefsinnigste poetische Kunstwerk aller neuen Landschaftsmalerei“. Damals wie heute ruft das Gemälde eine tiefe Wehmut und Sehnsucht in vielen Betrachtern hervor, weshalb der „Mönch am Meer“ zu den berühmtesten und beliebtesten Gemälden Friedrichs zählt.
Auf Drängen des 15-jährigen Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen erwarb der preußische König bei der Ausstellung das Werk. Durch diese Anerkennung erreichte auch Friedrich eine hohe Reputation, welche auch positiven Einfluss darauf hatte, dass er am 12. Nov. 1810, also kurz nach der Ausstellung, von der Berliner Akademie zum Mitglied ernannt wurde.
Caspar David Friedrich - Mönch am Meer
Öl auf Leinwand, 1819/1820, 110 x 171 cm, Nationalgalerie, Berlin
Caspar David Friedrich - Abtei im Eichwald
Öl auf Leinwand, 1819/1820, 110 x 171 cm, Nationalgalerie, Berlin