von Dr. Stefanie Meier-Kaftan
Er gehört mit ca. 12 cm Größe zu einem der Kleinsten unter den Finkenarten und dennoch hat er es zu großer Berühmtheit geschafft: der Stieglitz, auch Distelfink genannt. Den Namen „Distelfink“ brachte ihm seine Vorliebe für Distelsamen. In der Kunstwelt ist er schon lange zu Hause, zudem war er 2016 Vogel des Jahres in Deutschland und bekam zuvor noch mehr Aufmerksamkeit durch einen Roman und dessen spätere Verfilmung.
Das Bild „Der Distelfink“ diente als Titelvorlage für den 2013 veröffentlichten gleichnamigen Gesellschaftsroman von Donna Tart. Während das Buch gelobt und mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde, erhielt die gleichnamige Verfilmung von 2019 viel Kritik. Der Berühmtheit des Gemäldes hat dies jedoch in keiner Weise geschadet.
Vermutlich ursprünglich als Trompe-l’Œil (aus dem Französischen “Augentäuschung“) gedacht, sollte das Gemälde eine malerische Darstellung werden, die eine augentäuschende Illusion eines tatsächlich vorhanden körperhaften Gegenstandes hervorruft. Carel Fabritius (1622 – 1654) schuf dieses kleinformatige Meisterwerk mit Ölfarbe auf einer Holztafel. Es ist 33,5 cm hoch und 22,8 cm breit und der Dicke der Holztafel nach zu urteilen war es vermutlich ursprünglich in einer Paneele integriert oder Teil eines Möbelstücks. Es ist seit 1896 im Besitz des Mauritshuis in Den Haag in den Niederlanden.
Das Bild zeigt den Distelfink, als Haustier gehalten, angekettet an seinem Futternapf. Die gewählten hellen Brauntöne und das natürliche Licht lassen das Gelb in seinem Flügel und die rote Gesichtsmaske um seinen Schnabel herum deutlich zur Geltung kommen. Der Vogel ist leicht erhöht dargestellt. Die schlichte Komposition und der Blickwinkel unterstreichen die Erhabenheit des Vogels, welcher sich aufgrund seiner Farbigkeit und symbolischen Bedeutung großer Beliebtheit erfreute.
Der Distelfink hat innerhalb der kunsthistorischen Symbolik verschiedene Bedeutungen. So diente er unter anderem als Anspielung auf die Seele des Menschen, die nach dem Tod davonfliegt. Darüber hinaus steht er für die Passion Christi, weil die markante schwarz-weiß-rote Gefiederfärbung am Kopf des Vogels an das Bild des dornengekrönten und blutüberströmten Kopfes des gekreuzigten Christus erinnert. Dadurch hat der Stieglitz in zahlreichen Mariendarstellungen einen festen Platz.
Der niederländische Maler Carel Fabritius schuf in seinem kurzen Leben vermutlich zahlreiche Werke und gilt als ein bedeutender Schüler Rembrandts, leider sind nur etwa achtzehn seiner Arbeiten bekannt. Ein Großteil seines Werks muss bei der Explosion eines unterirdischen Pulvermagazins zerstört worden sein, bei dem der Künstler selbst am 12. Oktober 1654 ums Leben kam. Der 1654 datierte Distelfink stammt aus seinem Todesjahr.
Carel Fabritius - Der Distelfink
Öl auf Holz, 1654, 33,5 × 22,8 cm, Mauritshuis in Den Haag