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Caravaggio - Amor als Sieger

von Alexandra Tuschka


Der junge, nackte Knabe schaut dem Betrachter keck entgegen. Er sitzt ein wenig instabil auf einer Kante, die von einem weißen Tusch umhüllt ist. Es ist Amor, Sohn der schönen Venus der griechischen Mythologie. Er ist ebenso der Gott der Liebe – wer von seinem Pfeil getroffen wird, den packt das große Verliebtheitsgefühl. Dafür stehen dem Jüngling zwei Pfeile zur Verfügung, die wir auch hier sehen: ein roter – für die Liebeslust, ein schwarzer - für das Liebesleid. So konnte Amor mit einem gezielten Schuss den Lauf der Dinge mehr als nur einmal beeinflussen. Im Original lautet der Titel „Amor vincit omnia“ – "Amor besiegt alles", und dieser Titel trifft das Motiv doch etwas besser als die deutsche Übersetzung. Dieser Satz geht auf eine Zeile aus Vergils Eklogen - einer Sammlung von Hirtengedichten (X 69) zurück, wo es heißt „Omnia vincit Amor et nos cedamus amori“. Frei übersetzen kann man diese Worte mit „Die Liebe besiegt alles, lasst uns auch die Liebe feiern.“ Erstmal ist daran ja nichts auszusetzen.

Dieser Amor jedoch steigt im buchstäblichen Sinne über all die Dinge, an denen wir Menschen anhaften. Er scheint sich mit dem schiefen Lächeln gar ein wenig über uns lustig zu machen. Auch dem Betrachter begegnet er frei von Angst; die unverfrorene Nacktheit und sein Lächeln sind wirklich "entwaffnend".


Am Boden finden wir Musikinstrumente, Symbole der schönen Künste; Zirkel und Winkel, Symbole der Wissenschaft, Rüstung und Lorbeerkranz, Symbole des Krieges und sogar Krone und Zepter, Symbole der Macht. All das liegt achtlos verstreut auf dem Boden. Im offenen Notenblatt ist ein „V“ zu erkennen, es könnte für „Victoria“ die lateinische Bezeichnung für „Sieg“ stehen, oder aber die erste Initiale des Auftraggebers zeigen. Auch erkennen wir einen Himmelsglobus, auf dem der Junge fast Platz genommen zu haben scheint. Dieser wurde offenbar erst spät hinzugefügt, wie ein Röntgenbild entlarven konnte. Ursprünglich reichte die Tischkante bis dorthin hinaus.


Hier ist Amor so gar nicht, wie die Zeitgenossen ihn erwartet hätten. Kein idealer, süßer, unschuldiger Junge blickt uns entgegen; vielmehr sehen wir vermutlich in das Gesicht eines Bürgerjungens, Cecco, der Caravaggio wohl Modell gestanden hat. Sein Gesicht taucht immer wieder in dessen Ouevre auf. Es wird vermutet, dass der Knabe zu Caravaggios Liebhaber wurde. Ein wenig schiefe Zähne hat er schon, die gebeugte Körperhaltung bildet Fältchen am Bauch und durch die geöffnete Beinpose sehen wir doch sehr präsent auf sein Genital. Zudem ist er irgendwie sinnlicher als erwartet. Durch die starke Licht- und Schattenführung – das Chiaroscuro – wird der Junge äußerst plastisch.

Ein paar pikante Details geben dem Betrachter darüber hinaus Anlass zum Schmunzeln. Wo ist der linke Arm des Jungen? Hält der seinen rechten Fuß? Wahrscheinlicher erscheint, dass er mit beiden Händen den Bogen umfasst. Aber hier macht sich ein wichtiges Detail bemerkbar: die Sehne des Bogens ist ja gerissen! Amor wäre also nicht imstande, auf uns zu zielen.


Nehmen wir dieses Detail ernst, könnte es bedeuten, dass Amors Macht dem Betrachter nur vorgespielt wird; oder aber, dass sie unnötig geworden ist, im Anbetracht der vielen bereits eroberten Welten. Allerdings muss man dazu sagen, dass das Motiv einer gerissenen Saite im Ouevre Caravaggios wiederkehrt und auch als Vanitassymbol oder einfache Irritation des Betrachters gedeutet werden kann. Der Himmelsglobus hat grobe Ähnlichkeit mit dem Wappen der Medici, der einflussreichsten Familie in Rom zu der Zeit. Genug verfremdet, um nicht angreifbar zu sein, könnte man mit ein bisschen Phantasie sagen: der Amor schei--- auf die Medici.

Vincenzo Guistiliano, einer der bedeutendsten Förderer Caravaggios und womöglich ebenso homosexuell, gab dieses Werk 1602 in Auftrag. Es soll wohl unter den fünf Werken des Künstlers in der Familiensammlung dessen Lieblingsstück geworden sein. Joachim von Sandrart, der als Maler und Biograph im Hause tätig war, befand den Amor als so bedeutend, dass es mit einem Vorhang bedeckt wurde, damit es die anderen Bilder nicht „überstrahle“. Nachdem das Werk bis 1812 in dem Besitz der Familie Guistilano war, erwarb Friedrich Wilhelm III. Von Preußen das Gemälde, so, dass wir es heute in Berlin bewundern können.



Caravaggio - Amor als Sieger

Öl auf Leinwand, 1602/1603, 156 x 113 cm, Gemäldegalerie, Berlin


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