von Frauke Maria Petry
Die Geschichte der Iphigenie ist in der griechischen Mythologie über den trojanischen Krieg eingebettet.
Ihr Vater will sie opfern, um auf See ein Unheil zu vermeiden. Doch die Göttin Diana rettet das Mädchen und lässt sie auf Tauris als Priesterin dienen. Dort sehnt sich Iphigenie nach ihrer Heimat. In der großformatigen Fassung zeigt Anselm Feuerbach die antike Figur als modernen Menschen. Die Schwere der zeitgenössischen Kleidung, die Haltung der Iphigenie und die dunkle Farbigkeit des Bildes strahlen Melancholie aus. Das Mädchen wird zur Personifikation der Sehnsucht
Vor Feuerbach hat noch niemand die aufs Meer blickende Iphigenie dargestellt. Er widmete sich dem Thema 17 Jahre lang und ließ fortwährend seine italienische Geliebte Nanna Model stehen. Als Vorlage nahm Feuerbach nicht das Original von Euripides, sondern Goethes Bühnenstück (1786). Darin gilt Iphigenie als das Idealbild des Menschen.
In Feuerbachs monumentalen Frauenbildern projiziert sich zugleich eine Machtphantasie auf die Frau, was als Ausdruck der Angst vor der weiblichen Sexualität gedeutet werden kann. Durch die Frauenbewegungen im ausgehenden 19. Jahrhundert ging für Männer eine neue Gefahr vom weiblichen Geschlecht aus. Die Chancen-Ungleichheit und männliche Vormachtstellung wurden erstmals in Frage gestellt. Die Geschichte der Iphigenie ist die einer starken und ehrbaren Frau. Am Ende der Narration kann sie durch Ehrlichkeit und Mut einen uralten Fluch brechen und so ihre Familie retten.
Anselm Feuerbach - Am Meer (Moderne Iphigenie)
Öl auf Leinwand, 1875, 197 x 113,5 cm, Kunstpalast in Düsseldorf