von Alexandra Tuschka
Dies ist ein wahrlich merkwürdiges Gemälde. In der Mitte des Bildes ist formateinnehmend eine nackte Frau zu sehen. Den rechten Arm hat sie erhoben, in der Hand ein goldener Pfeil, der linke hängt locker herunter, hier hält sie eine goldene Kugel oder einen Apfel in der Hand. Den Körper zeigt sie uns frontal, das Gesicht ist im Profil zu sehen, hier erkennen wir, dass sie eine Krone trägt. Sie wird von einem Jüngling, fast noch ein Kind, zum Kusse herangezogen und unsittlich an der Brust berührt, die Brustwarze wird von diesem zwischen den Fingern gezwirbelt. Während dieser Gesten möchte der Junge nach der Krone greifen. Sein heller Po wölbt sich nach außen und ist im linken Bildrand gut zu erkennen. Auf dem Rücken befindet sich ein Köcher mit Pfeilen.
Auf der rechten Seite kommt ein ähnlich gelockter Junge, nur jünger, mit einer Handvoll Rosenblätter, die er wohl verstreuen möchte, und einem Glockenband am Fußgelenk, ins Bild. Er scheint hocherfreut über den sich bietenden Anblick zu sein. Und was sich da noch alles im Hintergrund tummelt ist ja unglaublich! Unten rechts liegen ein paar abgelegte Masken, hinter dem Jungen ist ein weibliches Mischwesen zu erkennen, sie hält eine süße Wabe in der Hand. Oben rechts zeigt sich ein muskulöser Alter, offenbar zornig, der zum linken Bildrand hinausschaut. Auf seinem Rücken ist ein Flügel und eine Sanduhr zu sehen. Seine Bewegung ist dynamisch, ist er erst gerade erst ins Bild gekommen?
Links oben ist eine Dame im Profil zu sehen, ihr erschrockenes Gesicht mit offenem Mund, und ihre zur Kralle geneigte Hand sind gut zu erkennen. Allerdings scheint sie wie eine zerbrochene Statue zu sein, denn die Hälfte ihres Kopfes fehlt. Unter ihr ist ein fahler Mensch im Wahnsinn begriffen. Er hat den Mund aufgerissen, die Hände raufen die Haare.
Die Frau in der Mitte ist Venus. Der goldene Apfel, den Paris ihr übergab und sie als "Die Schönste" auszeichnete, und das Taubenpaar unten links sind ihre Attribute, auch Amor mit dem Köcher und den Pfeilen gehört sozusagen zu ihrer Gefolgschaft und macht das Thema erkennbar. Diese inzestuöse Liebe ist allerdings ungewöhnlich, denn Venus ist die Mutter von Amor. Den goldenen Pfeil hat sie ihrem Sohn wohl gestohlen. Es ist der Pfeil mit dem Amor normalerweise auf die Herzen anderer Menschen und Götter zielt und sie damit verliebt machen kann. Venus möchte offenbar in den Genuss dieses Gefühls kommen und sich den Pfeil selbst ins Herz stoßen.
Was hat es mit den anderen Gestalten auf sich? Die männliche Figur oben ist gut als „Vater Zeit“ zu erkennen. Er charakterisiert sich durch ein fortgeschrittenes Alter und die Sanduhr. Meist fungiert er als Mahnung in Bildern und erinnert an die Vergänglichkeit, so womöglich auch hier. Das blaue Tuch, das er in den Händen hält, könnte er über die Liebenden legen wollen, entsetzt von der verbotenen Liebe oder aber verhindern, dass es von der Frau links über die Protagonisten gelegt wird. Die Integration seiner Figur bedeutet wohl ganz simpel: Die Liebe wird nicht ewig halten.
Über die anderen bekommen wir Aufschluss aus Vasaris Aufzeichnung zu dem „Leben des Bronzino" von 1568. Hier schreibt der Autor: "Er schuf ein Bild von einzigartiger Schönheit, das an König Franz in Frankreich geschickt wurde; darin war eine nackte Venus mit Amor, der sie küsste, und auf der einen Seite Vergnügen und Spiel mit anderen Lieben; und auf der anderen Seite Betrug, Eifersucht und andere Leidenschaften der Liebe.“
So ist eine weit verbreitete Deutung folgende: die Masken unten deuten an, dass Venus und Amor ihre Liebe verschleiern möchten oder verschleiert haben; der Junge darüber könnte das „Vergnügen“ verkörpern, bereit und willig, den Augenblick ausgelassen zu feiern, aber dabei nicht zu bemerken, dass Gefahr droht. Dies ist hier an einem kleinen Detail zu erkennen, denn der rechte Fuß des Jungen hat sich in einem Dorn verfangen.
Die hybride Kreatur dahinter erinnert an zwei Figuren. Einerseits kennen wir Wesen, die aus halb Frau, halb Schlange bestehen, aus der Ikonografie des Sündenfalls. Die Schlange hat hier mitunter einen Frauenkopf und einen Schlangenkörper. Auch in dieser Szene wird den Liebenden etwas vermeintlich Leckeres angeboten, obwohl der Stachel schon darauf lauert, zuzustechen. Ein anderes Wesen, was man assoziieren kann, ist die ägyptische Sphinx, ein Wesen aus halb Frau, halb Löwe. Denn auch hier sehen wir die Löwenkrallen deutlich am rechten Bildrand. Auch diese Figur ist eine Verführerin. Daher interpretiert man das Wesen im Gemälde zumeist als "Betrug" oder "Täuschung".
Die zerbrochene Frau links oben könnte das Vergessen symbolisieren. Sie ist schon nicht mehr vollständig. Sie steht mit Vater Zeit kompositorisch und durch ihren Blickkontakt in Bezug. Womöglich möchte einer von beiden das blaue Tuch über die Szene legen und der andere dieses verhindern? Deutet man die Geste des Alten als Verhinderung, dann ergibt das den Subtext: "Noch ist nicht Zeit zu Vergessen."
Die letzte, drastische, Figur links wird oft als "Leiden", "Eifersucht" oder sogar als die "Syphilis" identifiziert. Allerdings ist letztere Interpretation fragwürdig, da das Gemälde am französischen Hof landete und die Darstellung dieser Krankheit, die mitunter als die „Franzosenkrankheit“ bekannt, eine Beleidigung dargestellt hätte.
So ganz unter einen Hut bekommt man alle Figuren nur mit Phantasie. Am wahrscheinlichsten ist es, dass Bronzino die vielen Dimensionen der Liebe in einem Werk zusammenbringen wollte. Dass sie sich direkt oder chronologisch aufeinander beziehen, scheint nicht offensichtlich beabsichtig. Auch ist der Adressat sicher ein großer Einflussfaktor auf die Ausgestaltung des Werkes gewesen: Bronzino war Hofmaler bei Cosimo I. de Medici. Vermutlich schenkte dieser das Bild dem stets lüsternen König Franz I. von Frankreich, der seine helle Freude an der Gratwanderung zwischen offensichtlicher Erotik und doch einer tieferen Sinnschicht gehabt haben wird.
Angolo Bronzino - Allegorie der Liebe
Öl auf Holzplatte, ca. 1545, 146,1 × 116,2 cm, National Gallery, London