von Alexandra Tuschka
Bei diesem Gemälde handelt es sich um ein Frühwerk des später als Porträtist des sächsischen Hofes und als Professor an der Dresdner Kunstakademie bekannt gewordenen Malers Christian Vogel von Vogelstein (1788-1868). Das Gemälde misst 70 x 48,5 cm und entstand bei einer Italienreise in Rom 1816, wie eine Inschrift auf der Rückseite des Gemäldes verrät. Unser Modell hat den Zeichenblock zugeklappt und sieht den Betrachter frontal an. Es scheint als sei dieser gerade ins Zimmer getreten und hat die junge Frau beim Zeichnen unterbrochen. Dennoch verbirgt sie die Skizze vor dessen Blick. Ihre ganze Aufmerksamkeit gilt nun dem Beschauer, den sie mit großen, runden Augen ansieht.
Das Gemälde spielt mit dem Innen- und Außenraum. Es gibt zwei deutlich voneinander unterscheidbare Bildebenen. So führt links der Blick in die weitläufige und detaillierte Landschaft im Hintergrund, während die Raumtiefe im rechten Bildteil von einer dicken Mauer gebremst wird, vor der das Mädchen Platz genommen hat. Diese ist grau und flächig. Während die Landschaft hell und lichtgeflutet erscheint, wirkt der Innenraum recht steril. Hier arbeitete der Maler mit großen, ruhigen Flächen in tieferen, gedämpfteren Farbtönen. Die Landschaft wird als Bucht von Neapel betrachtet, da man den rauchenden Vesuv im Hintergrund erkennen kann.
Die Rundbogenerkerfenster, durch die der Durchblick gewährt wird, sind durch korinthische Säulen und Pillaster getrennt und geschmückt. Eine kleine Terrakotta-Vase steht auf dem Fenstersims. Nicht nur die Zeichnung des Mädchens bleibt verborgen, auch weitere Indizien, in welcher Räumlichkeit wir uns hier befinden, fehlen. Wo sitzt die junge Frau? Welche Funktion hat die dicke Mauer, vor der sich das Mädchen befindet?
Sie selbst trägt ein rotes Samtkleid unter dem ihre grünen Schuhe hervorlugen. In der gedämpften Umgebung kommt die zarte, helle Haut des Mädchens besonders gut zum Vorschein. Sie trägt weiterhin ihre dunkelbraunen Haare zu einer Hochsteckfrisur, die ihren Nacken freilegt. Eine grüne, schwere Decke ist um sie auf dem vergoldeten Empiresessel drapiert. Dieser Komplementärfarbenkontrast aus Rot-Grün wird auch in den Fliesen in abgeschwächter Form wieder aufgenommen. Zudem bereichern Gold und sattes Königsblau die Farbpalette im Vordergrund, die nicht nur im Sessel, sondern auch in der kleinen Brosche der Frau aufgenommen werden.
Die junge Dargestellte ist als Gräfin Thekla Ludolf identifiziert, deren Bekanntschaft Vogel von Vogelstein wohl auf seiner Italienreise durch seinen Dienstherrn Baron von Löwenstern gemacht hat. Der hohe gesellschaftliche Rang der Dargestellten wird durch die offizielle und prachtvolle Ausstattung unterstrichen, diese ist ganz im Sinne des damaligen modischen Geschmacks gehalten. Dennoch gelang es Vogel von Vogelstein dem Portrait eine individuelle und private Note zu geben und eine rechte Intimität zwischen Gräfin und Betrachter herzustellen. Durch seine realitätsnahe Darstellung, die Innengestaltung des Raumes durch die verschiedenen Muster am Boden, den Empire-Stuhl sowie die Bekleidung der Frau zeichnet sich das Gemälde als Biedermeier-Portrait aus.
Die Provenienz dieses Gemäldes kann durch jahrelangen Recherchen heute recht gut nachvollzogen werden. Dafür arbeiteten verschiedenen Institutionen miteinander – deutsche und österreichische Archive, die von den Nachfahren der Eigentümerinnen beauftragte „Commission for looted Art in Europe“ mit ihrem Sitz in London sowie die Bestandsüberprüfung der Staatlichen Kunstsammlungen im Dresden in Rahmen ihres Daphne – Projektes, das sich der Provienenzforschung widmet. Mit Unterstützung durch das Sächsische Staatsministerium für Finanzen und das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst werden hier die Bestände der 12 Museen der Kunstsammlungen seit 2008 inventarisiert. „Daphne“ nennt sich die Datenbank, die die nahezu 1,2 Mio. Objekte verwaltet, die aber auch erstmals systematische Recherche der Herkunft sämtlicher Zugänge ermittelt. Dabei wird ein Hauptaugenmerk auf den ehemals jüdischen Kunstbesitz gelegt, der zwischen 1933 und 1945 entzogen wurde. 1940 erwarb Hans Posse, Direktor der Dresdner Gemäldegalerie, bei der Münchner Kunstsammlung Julius Böhler dieses Bild für sein Museum. Damals kostete es 4.500 RM, was ungefähr 19.000 Eur entspricht. Die Galerie selber hatte es vorher von der Kunsthändlerin Gussenbauer erworben, zusammen mit einer Handvoll weiterer Gemälde. Der Zeitpunkt des Kaufes 1940 legte also den Verdacht nahe, dass das Gemälde aus sogenanntem "verfolgsbedingten Entzug" stammt.
Man fand heraus, dass das Gemälde bis 1938 noch im Besitz dreier jüdischer Schwestern, Malvine, Jenny und Bertha Rosauer befand, die in Wien lebten. In einem Schätzungsgutachten wird ein Portrait Vogel von Vogelsteins gelistet, von dem auszugehen ist, dass es sich um das vorliegende handelt. Die Familie Rosauer hatte nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich ihre Wohnung verlassen und sich von ihren Besitztümern trennen müssen. Bertha Roasuer starb vermutlich 1940, ihre beiden Schwestern wurden 1942 ins KZ in Theresienstadt deportiert und ermordet.
Durch Hans Posse fand das Gemälde seinen Platz in der Galerie Neue Meister, wo es sich bis Anfang 2011 auch befand. Als im Rahmen der Provenienzforschung die eben genannten Ergebnisse zum Vorschein kamen, wurde das Werk, gemäß der „Washingtoner Erklärung“ 1998, in der sich Deutschland verpflichtet hat, Kunstobjekte, die von den Nazis beschlagnahmt wurden, herauszugeben, am 4. März an die Nachkommen der jüdischen Schwestern übergeben.
Wenige Wochen später, am 18. Mai wurde dieses Bild jedoch bei Sothebys bei einer Versteigerung europäischer Malerei des 19. Jahrhunderts angeboten. Dort erwarben die SKD, mithilfe des Kunsthändlers Wolfgang Wittrock das Gemälde für fast 80.000 Pfund (knapp 91.000 Eur). Damit liegt der Preis über dem ursprünglich angesetzten Wert des Auktionshauses von 50.000 bis 70.000 Pfund. Somit kann man hier von einer gelungenen Restitution sprechen, die eine faire und gerechte Lösung für die Nachkommen der Schwestern bietet, jedoch nicht mit dem schmerzlichen Verlust eines Hauptwerkes der Galerie einhergeht, sondern vielmehr mit dem guten Gefühl, dieses Werk nun rechtmäßig zu besitzen und ausstellen zu können.
Insbesondere da diese Werk sehr wichtig ist, da es neben den weiteren 15 Gemälden des Malers neben dem „Bildnis Papst Pius VII“ das einzige Frühwerk Vogelsteins in der Galerie Neue Meister in Dresden darstellt.
Carl Vogel von Vogelstein – Das Mädchen mit dem Zeichengerät
Öl auf Leinwand, 1816, 70 x 48,5 cm, Galerie Neue Meister, Dresden