von Alexandra Tuschka
Besucht man die Wallfahrtskirche Maria Bründl in Wilhelmsdorf, begegnet man auf dem Altar einem Schmuckstück, welches bereits 1675 an die Kirche gespendet wurde und als Paraphrase zu Raffael gilt. Dieser Vergleich hinkt nicht, denn betrachten wir das Motiv, so fällt uns gleich die berühmte "Madonna della Seggiola", die "Madonna auf dem Stuhl" ein, welche den Betrachter ebenso eindringlich ansieht und von dem Jesusknaben und Johannes dem Täufer als Kinder begleitet wird.
Unsere Madonna lässt dem Jesusknaben etwas mehr Freiraum im Spiel, sodass die Interaktion zwischen den Kindern nun mehr Raum einnehmen kann. Jesus linke Hand ruht sanft auf den Haaren seines Gegenübers und er hebt seine rechte Hand zum Segensgestus. Im lateinischen Ritus sind hier Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger ausgestreckt, ein Zeichen für die Dreifaltigkeit, während die beiden eingeknickten Finger auf die zwei Naturen Christi verweisen - die göttliche und die menschliche.
Johannes der Täufer ist an seinen Attributen leicht zu erkennen: dem Holzkreuz mit Schriftzug (Ecce agnus dei - Ich bin das Lamm Gottes) sowie dem Kamelfell, welches ihn als Einsiedler in der Wüste auszeichnet. Zum Empfangen des Segens hält er seine Arme über der Brust gekreuzt und die Hände nach innen gedreht. Diese Geste wirkt zustimmend, beschreibt jedoch typischerweise Figuren in Situationen von Ohnmacht, Hilflosigkeit und Scheitern wie beispielsweise Jesus vor seiner Verhaftung auf dem Ölberg. Hier ist gemeint, dass Johannes nicht nur den Segen, sondern auch sein weiteres Schicksal akzeptiert.
Interessant ist zudem die Fensteröffnung im rechten Bildteil. Dieses Element der italienischen Renaissance erzeugt ein hohes Maß an Tiefenraum und erlaubt die Integration von Landschaftsmalerei in das Werk. Auch der nun entstandene starke Lichtkontrast zwischen diesem helleren Teil und dem sonst dunklen Hintergrund lässt das Bildthema noch eindringlicher auf uns wirken. Weiter verstärkt wird dieser Effekt durch den Blick der Gottesmutter, der an Raffaels Sixtinische Madonna erinnert. Diese weiß um das Schicksal des Kindes und übergibt es dennoch der Welt. Unsere Madonna hält den Knaben ebenfalls nicht von seinem Schicksal ab.
Unbekannter Künstler - Madonna mit Jesus und Johannes d. T.
17. Jahrhundert, Wallfahrtskirche Maria Bründl in Wilhelmsdorf, Niederösterreich
Raffael - Madonna della Seggiola
Öl auf Leinwand, 1513, 71 x 71 cm, Palazzo Pitti in Florenz
Raffael - Die Sixtinische Madonna
Öl auf Leinwand, 1512/1513, 256 x 196 cm, Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden