von Alexandra Tuschka
Bei dieser Begegnung unter einem Orangenhain haben sich allerhand bemerkenswerte Figuren zusammengefunden. So richtig scheinen ihre Gespräche nicht in Gang zu kommen, sie wirken eher aufgereiht. Der Jüngling links ist der Götterbote Merkur; ihn erkennen wir gut an seinem Attribut den Flügelschuhen; mit seinem Caduceus (ein von zwei geflügelten Schlangen umschlungener Stab) versucht er, die Wolken aufzulockern; die drei Grazien sind ganz mit sich beschäftigt und in ihrem typischen Reigen vereint; die mittige Schönheit ist die Liebesgöttin Venus. Wir fühlen uns geschmeichelt, sie hat nur Augen für uns. Aus dem rechten Bildrand flieht noch die Nymphe Chloris vor dem Windgott Zephyr. Deren Geschichte findet sich in Ovids Fasti, wo diese Verfolgung beschrieben wird. Aus Chloris Mund entfleuchen Blüten. Interessant ist, dass eben diese Chloris später Flora genannt wurde, die Frühlingsgöttin, und eben jene sehen wir direkt daneben im Blumenkleid. Kompositorisch wird diese Verwandlung durch das Blumenband aus Chloris Mund verbildlicht. Flora bestreut uns und ihre Umgebung mit Blüten und war bereits sehr fleißig, wie der reich bestückte Boden und verrät. 138 verschiedene Pflanzen konnten Botaniker in diesem Werk identifizieren. Oben fliegt der kleine Amor und schießt mit seinem Liebespfeil in die Frauengruppe. Er hat die Augen verbunden, aber die Chancen stehen gut. Eine von ihnen wird er schon treffen. Sein Beisein lässt auch letzte Zweifel an der Identifikation der mittleren Frau als Venus ausradieren, denn Amor ist Venus Sohn und ihr treuer Begleiter auf vielen Leinwänden. Gleiches gilt für die drei Grazien. Im Hintergrund rhythmisieren Bäume das Bild durch vertikale Linien.
Dies ist neben der "Geburt der Venus" das wohl berühmteste Werk des italienischen Malers Sandro Boticelli und zeigt ebenso eine Szene der klassischen Mythologie, wenngleich die Kombination seiner Figuren eine reines Phantasietreffen ist. Das macht eine Deutung der Szene bis heute schwierig und es ist nur allzu verständlich, dass die Forschung sich bis heute auf keine Interpretation festlegen konnte. Dieses Phänomen ist typisch für Boticelli, der gerne allegorische Themen auch als Herausforderung an den Intellekt und das mythologische Wissen des Betrachters verstand. Wie also dieses Werk interpretieren?
Als Auffälligkeit in der Komposition zeigt sich, dass die Männer die Frauen umrahmen. Der Orangenhain öffnet sich in der Mitte und die Bäume sind so symmetrisch gebogen, dass neben dem Blickkontakt, der mittigen Anordnung und der Erhöhung der Figur Venus eindeutig als Protagonistin auszumachen ist. Zudem ist sie nicht überschnitten. Zusammen mit der "Geburt der Venus" hing dieses Werk in der Schlafkammer des Lorenzo di Medici. Beide Bilder werden gemeinsam in den Viten von Giorgio Vasari beschrieben. Nicht zu verkennen sind einige Ähnlichkeiten in der Komposition und im Bildpersonal. So haben wir auch hier mittig die Venus stehen, diesmal nackt, da gerade erst geboren. Wieder schweben Zephyr und vermutlich Chloris von links ins Bild und die Dame links wird zwar als eine der Horen interpretiert, zeigt aber doch in ihrer Kleiderwahl einen recht ähnlichen Geschmack wie Flora.
Vasari, der beide Werke beschreib, gab unserem Hauptwerk zudem seinen Namen. Womöglich, so räumen die Uffizien ein, entstand das Gemälde, um die Hochzeit Lorenzos mit Semiramide Appiani im Mai 1482 zu feiern. Sie trägt hier die typische Kopfbedeckung verheirateter Florentinerinnen. Dies wird als Anspielung auf ein Hochzeitsthema zu sehen. Die meisten Interpretationen gehen davon aus, dass es sich hier um ein Liebesthema handelt, schließlich deutet der Standort und auch die Herausstellung der Liebesgöttin darauf. Andere Wissenschaftler gehen (zusätzlich) von Einflüssen der florentinischen Festspiele, dem Gedicht "De Rerum Natura" von Titus Lucretius Carus aus, oder sehen in dem Werk gar philosophische Fragen verkörpert. Natürlich wurden auch immer wieder andere Interpretationen der Figuren in den Raum geworfen, wie bspw. die mittige Figur als biblische Eva oder die in die Unterwelt entführte Persephone, die allerdings nicht überzeugen konnten. So kann man nur demütig festhalten, dass zwar bei der Identifikation der Figuren Einheit herrscht, bei allem weiteren aber mitnichten davon gesprochen werden kann.
Sandro Botticelli - Primavera
Tempera auf Holz, 1482, 203 x 314 cm, Galerie der Uffizien, Florenz
Sandro Botticelli - Die Geburt der Venus
Tempera auf Leinwand, um 1482–1483, 172,5 × 278,5 cm , Galleria degli Uffizi in Florenz
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