von Frauke Maria Petry
Seit einigen Jahren wird diskutiert, ob Jesus ein Yogi war und seinen Jüngern nach indischem Vorbild die Meditation lehrte. Rein äußerlich scheinen sich heute einige Yogalehrer an dieser Theorie zu orientieren. Mit langen Haaren und gepflegtem Bart ist ihr Stil ebenso Hipster, wie ihre Beschäftigung mit dem Trendsport. Der Salvator Mundi, der mit 450 Millionen US-Dollar Verkaufspreis als teuerstes Kunstwerk der Welt (Stand 2019) in den Medien die Runde machte, scheint dem coolen Look zu entsprechen. Spätestens seit 2017 ist das Ölgemälde eine Ikone des heutigen Kunstbetriebs, wobei seine Zuschreibung an Leonardo da Vinci in Fachkreisen umstritten ist.
Durch zahlreiche Restaurationsarbeiten wirkt der Sohn Gottes eher wie ein „androgyner Kiffer“. Mit seinem verschlafenen Silberblick scheint der junge Mann nicht nur tiefenentspannt, sondern er streckt den rechten Mittel- und Zeigefinger lässig in die Höhe als würde er nicht zum Segen ansetzen, sondern sich nach einer Zigarette sehnen. Ob das wirklich Leonardo da Vincis Interpretation vom Erlöser der Welt entspricht? Dem Mund nach könnte es zumindest der meisterlichen Hand entstammen. Wie bei der Mona Lisa setzen die Mundwinkel zu einem Lächeln an und verharren doch ausdruckslos. Einzig die gläsern wirkende Kugel, die in der rechten Hand ruht, verweist auf die königliche Stellung und das Weltengericht. Gerade diese Hand soll die Echtheit des Gemäldes verifizieren.
Die Restauratorin Dianne Modestini fand an dieser Stelle verworfene Unterzeichnungen von einem zweiten Daumen. Obwohl das Kunstwerk zu einem der meistkopierten Gemälde Leonardo da Vincis zählt, lässt sich angeblich anhand dieser sogenannten „Pentimenti“ beweisen, dass es sich bei der Ausführung um das Original handelt. Denn Kopien kommen in der Regel ohne Variationen und derartige Vorzeichnungen aus. Leonardo da Vinci soll vermutlich im Auftrag des französischen Königs Ludwig XII. 1500 einen Salvator Mundi angefertigt haben. Ab dem 17. Jahrhundert belegen Aufzeichnungen den Verbleib eines Salvator-Gemäldes in der englischen Königsfamilie. Doch ab 1666 bleibt das Werk verschollen.
Im Jahre 1900 taucht die angebliche Original-Fassung auf und wandert in den Besitz des britischen Kaufmanns und Sammlers Sir Francis Cook. Sie wird 1958 bei Sotheby’s in London für 45 Pfund an einen amerikanischen Möbelhändler verkauft. 2005 wird das Bild von dem Kunsthändler Robert Simon und dem Kunstjäger Alex Perish in New Orleans für 1175 Dollar ersteigert. Aufgrund des desolaten Zustandes wird es mehreren Restaurationseingriffen unterzogen. Dabei identifiziert Modestini das Bild als angeblichen „Schläfer“ – ein bis dato unbekanntes Werk Leonardo da Vincis. Zwei Jahre nach dem Erwerb wird das Bild internationalen Leonardo-Experten zur Einschätzung vorgelegt. Nicht alle stimmen der Meinung der amerikanischen Professorin zu, zumal sie das Werk laut einiger Kritiker stark verändert haben soll. Einig sind sich die meisten Spezialisten lediglich darin, dass der italienische Renaissancekünstler einen Beitrag zu dem teuersten Bild der Welt geleistet hat. Es handelt sich vermutlich um eine Werkstattarbeit.
Dennoch wurde das Opus 2011 in einer der größten Leonardo-Ausstellungen in der Londoner National Gallery als unangefochtene Schöpfung des Maestros präsentiert. Zwei Jahre darauf erwarb der Kunstmarktakteur Yves Bouvier den Salvator Mundi bei Sotheby’s für 80 Millionen US-Dollar im Auftrag Dmitri Rybolowlews. Der russische Oligarch kaufte es noch am nächsten Tag für 127,5 Millionen US-Dollar ab, was angesichts des hohen Aufpreises zahlreiche juristische Folgen für den Händler nach sich zog. Der Sammler wiederum ließ es 2017 bei Christie’s in NYC versteigern. Dort setzte der Schweizer Loïc Gouzer das Bild in die Rubrik der lukrativen, zeitgenössischen Werke, und organisierte eine Millionen-schwere PR-Kampagne für den Erlöser der Welt – mit Erfolg!
Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman bot den finalen, historischen Rekordbetrag von 450,3 Millionen Dollar. So wurde der Heiland nach einem 19-minütigen Wetteifern am 15. November 2017 zum teuersten Kunstwerk aller Zeiten. Da das Gemälde eines Christi jedoch im streng islamischen Saudi-Arabien auf Widerstand stieß, tauschte bin Salman das Gemälde angeblich gegen eine Superyacht aus der Luxusflotte des Kronprinzen von Abu Dhabi ein. Das Ölbild sollte anschließend in die Sammlung des Louvre Abu Dhabi einkehren, doch wurde dessen Eröffnung 2018 verschoben. Seitdem wurde das teuerste Kunstwerk der Welt nicht mehr gesehen.
Der Salvator Mundi ist der Superstar auf dem Kunstmarkt. Er stellt nicht nur aufgrund seiner zweifelhaften Zuschreibung, lückenhaften Provenienz und den rasant ansteigenden Rekordpreisen eine Besonderheit dar. Die Geschichte seiner Verkäufe deckt gleichermaßen die Machenschaften des Kunstbetriebes auf. Die involvierten Ausstellungshäuser, Aktionshäuser und Experten setzten sich über jegliche Zweifel an der Echtheit hinweg und sicherten den Wert des Werks durch verschiedene Mechanismen ab. Wohlhabende sprangen auf das Spielfeld auf und präsentierten ihre finanzielle Macht mittels des Gemäldes. Denn Kunstobjekte dienen ab achtstelligen Beträgen vor allem einer Zurschaustellung der finanziellen Möglichkeiten, wobei die Unwahrscheinlichkeit des Wiederverkaufs zum selben Preis den symbolischen Wert verstärkt. Auch der Weltenretter schien zu diesem Zweck instrumentalisiert zu werden, wobei die Wertsteigerung durch zahlreiche bekannte Kunstakteure garantiert wurde. Fast jeder wollte ein Stück von dem Phänomen des Jesus Christ Superstar abhaben.
Je länger das Werk verschwunden bleibt, umso größer wird seine Geschichte. Der monetäre Wert und die Verkaufsgeschichte des Gemäldes scheinen dabei den kunsthistorischen Inhalt des Retters der Welt zu überschatten. Dabei könnte der Kontrast zwischen der Botschaft christlicher Bescheidenheit und dem Machtspiel des Kunstmarkts nicht stärker sein. Ob es angesichts des Klimawandels noch lange dauert bis zum Weltengericht? Die Superyacht hilft dagegen auf alle Fälle wenig. Gut, dass der Salvator Mundi das Geschehen bisher eher „gechillt“ sieht.
Leonardo da Vinci (zugeschrieben) - Salvator Mundi
Öl auf Holz, um 1500, 65,6 x 45,4 cm
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