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Gustave Moreau - Ödipus und die Sphinx

von Alexandra Tuschka


Eine Kreatur versperrt den Weg nach Theben. Jedem, der vorbeikommt, stellt sie ein Rätsel. Nur wer es beantworten kann, darf passieren. Offenbar etwas, was dem Mann, von dem wir nur noch Ausschnitte erkennen können, nicht gelang. Womöglich war dieser sogar ein König, dessen Krone und rotes Samtkleid wird noch erkennen können. 

Ödipus jedoch traut sich und steigt zu dem Monster auf. Es ist eine Sphinx. Ein Wesen mit Frauenkopf und Oberkörper, einem Löwentorso, Adlerflügeln und einem Schlangenschwanz — ein Mischwesen. Sie fragt ihn: 

«Es ist am Morgen vierfüßig, am Mittag zweifüßig, am Abend dreifüßig. Von allen Geschöpfen wechselt es allein in der Zahl seiner Füße; aber eben, wenn es die meisten Füße bewegt, sind Kraft und Schnelligkeit bei ihm am geringsten.» Ödipus antwortet: «Es ist der Mensch, er geht auf allen Vieren, wenn er ein Kleinkind ist, als Erwachsener geht er auf zwei Beinen und im Alter benutzt er einen Stock zu Hilfe als drittes Bein.» Augenblicklich stürzt sich die Sphinx in die Tiefe. Zur Belohnung wird Ödipus König von Theben und ehelicht Iokaste und damit unwissentlich seine eigene Mutter. Das Orakel von Delphi erfüllt damit eine vor vielen Jahren ausgesprochenen Prophezeiung. 


Hier ist die Szene zu sehen, in der die Sphinx Ödipus ihr Rätsel stellt. Sie nimmt dafür intensiven Augenkontakt auf und drängt sich an seinen Körper. Sie «bedrängt» ihn somit im buchstäblichen Sinne. Nur die Chlamys, die er trägt, verhindert direkten Körperkontakt. Ödipus jedoch hat keine Furcht. Seine Lanze hat er selbstbewusst auf den Boden gestellt. Bereits sind Lorbeerblätter als Zeichen des Sieges an ihm zu sehen. Und auch der Schmetterling, der neben dem reich verzierten Kelch aufsteigt, verweist auf das ewige Leben und damit seinen Sieg. In den Augen der Sphinx hingegen ist leichte Verzweiflung zu sehen. Die Sphinx ist nicht nur zufällig mit verführerischem Charakter gezeigt. Ihre spitze Brust und das hübsche Gesicht in Kombination mit der forschen und aggressiven Haltung nehmen Elemente einer «famme fatale» auf. Die Pflaume auf ihrer Seite kann als verstecktes Symbol der weiblichen Sexualität gedeutet werden, da diese Frucht im Abendland wegen der Prallheit und der seitlichen Spalte so aufgriffen wurde. 


In einem Tagebuch beschreibt Moreau das Bildthema als eines des männlichen Sieges über ein weibliches Monster, welches hier mit attraktiven Attributen gezeigt wird. Dieses Thema der Geschlechter kehrt in seinen Werken wieder wie bspw. bei seiner Medea oder Orpheus. Ist dieses Werk noch durch Nacktheit und Komposition dem Klassizismus zuzurechnen, entwickelt sich Moreau zunehmend in die Stilrichtung Symbolismus . 


Das Werk bezieht sich auf den bekannten Vorgänger seines Landesvettern Ingres, der die Auseinandersetzung Ödipus mit dem Rätsel in einer Felsenhöhle zeigt. Dieses Werk war ebenso in Paris zu sehen, wie auch das hier gezeigte, welches 1864 im Salon in Paris ausgezeichnet wurde. Kein Geringerer als Prinz Napoleon erwarb dieses Bild.


Gustave Moreau - Ödipus und die Sphinx

Öl auf Leinwand, 1864, 206,4 × 104,8 cm, Metropolitan Museum of Art in New York


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