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Gustave Courbet - Ein Begräbnis in Ornans

von Alexandra Tuschka

Das Publikum des Pariser Salons fand sich in den Jahren 1850/51 vor diesem riesigen Ölgemälde wieder. Die Maße von 315 x 668 cm waren bis zu diesem Zeitpunkt den Historiengemälden vorenthalten: mythologischen, biblischen Szenen, wichtigen Ereignissen der Weltgeschichte. Nun aber schaute man auf eine alltägliche, dörfliche Beerdigungsszene. Nicht nur die Maße brachen mit dem akademischem Standard: nicht einmal der Tote wurde genannt. Die über 40 Personen im Bild sind individuell, aber keiner ist exponiert dargestellt. Nichts und Niemand fängt unseren Blick, kaum interagieren sie miteinander. Kein Erzählstrang wird im Bild etabliert, und trotz des morbiden Themas sehen wir keine Hoffnung auf das ewige Leben. Courbet trug die Farbe zudem mit Spachteln dick und deckend auf, das viele Schwarz und die dunklen Töne drückt auch uns auf die Stimmung.

Courbet hatte das Gemälde trotz des unkonventionellen und alltäglichen Themas als „Historiengemälde“ bei der Akademie eingereicht. Er war der Meinung, dass nur die Zeitgenossen imstande waren, den Geist einer Epoche einzufangen und hatte kein Interesse an den pathetischen und unrealistischen Werken, die seiner Zeit die Kunst beherrschten. Vielzitiert ist seine Aussage „Zeige mir einen Engel, und ich male ihn!“. Für Courbet sollte die Kunst nicht „schön“ sein, sondern vor allem „wahr“. Dieses Werk bezeichnete er als sein „Manifest“ und tatsächlich – obwohl, oder gerade weil – es die Sehgewohnheiten so irritierte und einen Skandal auslöste, führte dieses Werk zu seinem endgültigen Durchbruch als Maler. Es steht stellvertretend für die Epoche, die wir heute „Realismus“ nennen. Courbet selbst sagte über das Werk, es sei „in Wahrheit die Beerdigung der (Epoche der) Romantik“.

„Ein Begräbnis in Ornans“ verrät uns, dass wir uns hier in Courbets Heimatort befinden, Ornans, an der Grenze zur Schweiz; einem Dörfchen mit damals ein paar Tausend Einwohnern. Die meisten Menschen kennen sich hier, sie sind zusammengekommen, um einen aus ihrer Mitte zu betrauern. In diesem Bild porträtierte Courbet seine Mitmenschen, zu vielen von ihnen hatte er eine persönliche Beziehung. Courbet fertigte sein Gemälde auf dem Dachboden des Hauses der Familie in Ornans an. Dafür bestellte er die einzelnen Gemeindemitglieder und ließ sie dort für ihn Modell sitzen. Auch andere Bilder entstanden in diesem provisorischen Atelier.


Von den Felsen im Hintergrund scheint die Menschengruppe fast in den Vordergrund gedrängt zu werden. Das enge Nebeneinander der Figuren, die vielen Überschneidungen wirken Fries-artig. Die gesamte Gruppe kann man in drei Teile aufteilen. Die offiziellen Ämter links, die Männer sind in der Mutte zu sehen, die Frauen rechts; brav getrennt wie auch in der Kirche. Alle bewegen sie sich auf den Bildmittelpunkt zu, das bereits ausgehobene Grab. Der Totengräber Antoine Joseph Cassard, Sohn eines Schusters und armen Bauern, hat seine Jacke und Wollmütze auf den Rand der Grube gelegt, die er gerade frisch ausgehoben hat, wie die Farbe der Erde zeigt. Er kniet in erwartungsvoller Pose. Viele der Personen sind durch zeitgenössische Dokumente identifizierbar. Die Hauptperson – der Tote – ist Courbets Großonkel. Sein Name wird allerdings im Titel nicht erwähnt, was das Gemälde anonymisiert und noch alltäglicher erscheinen lässt.

Links kommen vier Sargträger ins Bild. Es handelt sich wahrscheinlich um einen Schuhmacher, einen Bauern, einen Musiker und einen Wirt. Die beiden letzteren sind langjährige Freunde von Courbet. Zwei Jungen, Ministranten, begleiten die Männer. Einer trägt eine Kerze und schaut einen der Träger fragend an. Hier findet die einzige erkennbare, Kontaktaufnahme zweier Personen statt. Nur mit Blicken, ohne Worte. Der andere trägt eine Vase mit Weihwasser ins Bild. Fünf Küster in weißen Roben sind daneben erkennbar. Einer von ihnen hat eine große Nase und schaut den Betrachter an. Er trägt das Kreuz. Die Küster-Tätigkeit wurde oft ehrenamtlich ausgeführt. Dieser Mann zum Beispiel war im Hauptberuf Winzer. Vorne, im Profil ist der Pfarrer zu erkennen, der aus einem Buch, vermutlich einem Brevier, liest. Die zwei Männer in rot sind Sakristane; sie scheinen in ihrer Freizeit gerne mal einen über den Durst zu trinken, schaut man sich ihre roten, vergrößerten Nasen an. Daneben ist der Bürgermeister des Städtchens Prosper Teste anwesend. Zwei Kindheitsfreunde Courbets sind etwas erhöht dargestellt. In der Frauengruppe rechts finden sich Mutter und drei von Courbets Schwestern wieder sowie seine kleine Cousine abseits am Bildrand. Die zwei vorne stehenden Männer sind in der Kleidung der Revolutionäre zu sehen. Einer trägt weiße Gamaschen, der zweite blaue Strümpfe. Seine offene Handhaltung suggeriert eine Anteilnahme am Geschehen. Ein Jagdhund ist wie beiläufig ins Bild gekommen. Er schaut ein wenig fragend aus dem rechten Bildrand hinaus.

Das Gemälde bewegt sich damit zwischen den Sparten Gruppenportrait, Historiengemälde und Genrebild; und das alles mit einem radikalen realistischen Blick. Spirituelle Aspekte wie göttliches Licht oder die Aussicht auf ewiges Leben finden wir hier nicht vor. Allerdings gibt es doch zwei Kniffe, die Trost spenden können: Jesus am Kreuz überragt die Menschenmenge, er macht alle darunter gleich und gibt am Horizont Aussicht auf den Frieden nach dem Tod. Und noch wichtiger: am ausgehobenen Grab finden sich ein Schädel und Knochen. Hier kaum beachtet könnten sie für einen vergessenen Toten sprechen, der nun Platz in der Grube freimachen musste. Allerdings kennen wir genau diese zwei Motive aus Kreuzigungsszenen auf dem Berg Golgatha. Diese wörtlich übersetzte „Schädelstätte“ soll, nach apokrypher Überlieferung, den Schädel Adams bei der Kreuzigung Jesu zum Vorschein gebracht haben. Es ist kaum möglich, dass Courbet diese Konnotation nicht bewusst ins Bild integriert, zumal der dargestellte Friedhof selbst erst 1848 ausgehoben wurde. Er befindet sich etwas außerhalb der Stadt, so dass wir im Hintergrund die regionale Umgebung erkennen, die geprägt durch steile Kalksteinfelsen ist. Die hier angelegten Gräber waren also vermutlich frisch. Courbet zeigt also ein religiöses Gemälde mit christlichen Motiven, die Einkehr der Trauernden, die Zeremonien seiner Zeit, was nun, über 150 Jahre später und mit ein wenig Abstand, ganz in seinem Sinne für die Nachwelt ein „Historiengemälde“ wurde.

Gustave Courbet - Ein Begräbnis in Ornans

Öl auf Leinwand, 1849/50, 315 x 668 cm, Musée d'Orsay, Paris


El Greco - Kreuzigung

Öl auf Leinwand, 17. Jahrhundert, Casa y Museo del Greco, Toledo, Spain


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