von Laura Gerstmann
Ein Jüngling, der Mittelpunkt des Bildes, tänzelt auf den Zehenspitzen auf einer Kugel. Mit strammen Oberkörper und wallendem Haar flattert sein zusammengeknotetes Gewand um den Körper. In seiner rechten erhobenen Hand hält er ein Rasiermesser. Leicht hat er seinen Kopf geneigt und bedenkt mit seinem Blick eine sich an den rechten Bildrand drängende Frau. Ihre Augen sind auf die Füße der Kugel gerichtet.
Die Gelegenheit zieht an der Reue vorbei! Girolamo da Carpi wählt für seine Fortuna Darstellung die Figur des Kairos, die griechische männliche Variante, anstatt der traditionellen weiblichen Form der Occasione. Die Kugel, auf der der Jüngling steht und die Flügel, die an seinen Fersen angewachsen sind, sind Attribute der Schicksalsgöttin Fortuna und stehen als Zeichen für Wechselhaftigkeit und Unbeständigkeit. Kairos ist weiterhin an seinem Rasiermesser zu erkennen, mit dem er sich den Hinterkopf kahl schert, sobald jemand versucht die Gelegenheit beim Schopfe zu packen. Seine zur Seite gedrehten, tänzelnden Füße signalisieren, dass die Gelegenheit bereits verstrichen ist. Die Reue wird hingegen von einer jungen Dame am rechten Bildrand verkörpert.
Die Dramatik des Bildes wird dabei durch den düsteren wolkenverhangenen Hintergrund verstärkt, aus dem der Jüngling strahlend hervorsticht. Eine nicht sichtbare Lichtquelle, in der linken oberen Bildecke lässt Kairos und das Gesicht der personifizierten Reue erleuchten. Somit verleiht die Lichtstimmung vor allem Kairos etwas Göttliches.
Girolamo da Carpi - Die Gelegenheit und die Reue
Öl auf Leinwand, 1541, 211 x 110 cm , Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden