von Sarah Baur
Der englische Maler Frederick Sandys trat in den 1860ern unter der Künstlergruppe der Präraffaeliten auf. Er pflegte zunächst eine gute Freundschaft und Wohngemeinschaft mit seinem Malerkollegen Dante Gabriel Rossetti, der ihm mit Rat und Tat zur Seite stand. So auch als Sandys sein Werk „Medea“ 1868 zur Ausstellung in der Royal Academy einreichte, aber abgelehnt wurde. Nur mit Unterstützung Rossettis und weiterer Kollegen wurde das Werk schließlich im Folge Jahr aufgenommen.
Es behandelt ein durchaus beliebtes Sujet dieser Zeit, das in den unterschiedlichsten Versionen von zahlreichen zeitgenössischen KünstlernInnen umgesetzt wurde, nämlich die Darstellung legendärer, faszinierender femmes fatales.
Sandys setzt hier – wie der Titel verrät - die berühmt berüchtigte Medea in Szene. Ihre Geschichte ist in der Griechischen Mythologie wiederzufinden: Hier ist sie die Tochter des Königs Aietes von Kolchis und Nichte der Zauberin und Göttin Circe – so liegt auch Medea die Zauberei im Blut und sie wird oft als Priesterin der Göttin Hekate beschrieben.
Kolchis wird nun eines Tages von Iason und den Argonauten aufgesucht, um von dort das Goldene Vlies zu erbeuten. Dabei verliebt sich Medea in Iason und hilft ihm das Vlies zu ergattern. Nach erfolgreicher Mission fliehen sie zusammen, heiraten und haben zwei Söhne. Doch bald wird Medea von Iason verlassen, da er sich in eine andere Dame namens Glauke verguckt. Gegrämt und blind vor Wut bringt Medea daher die neue Liebhaberin mit einem verzauberten, sich selbst-entzündenden Schleier um (in anderen Versionen der Erzählung ist von einem vergifteten Kleid die Rede). Doch ihr Zorn reicht sogar soweit, dass sie selbst ihre beiden eigenen Söhne noch umbringt.
Sandys inszeniert Medea hier als Halbfigur im Zentrum des antikisierten Gemäldes und zeigt gerade die Szene als Medea von Iason verlassen wurde und ihren Racheplänen nachgeht. Im Hintergrund stellt in leuchtenden Goldtönen eine Wandmalerei das vergangene Abenteuer mit den Argonatuen dar: links die Argo, das Schiff der Argonauten, und rechts das Goldene Vlies, das zwischen Eichenbäumen aufgespannt ist. Medea selbst befindet sich vor einem marmornen Tisch bzw. einer Art Altar, auf dem sie sorgfältig einige Utensilien für ihren Zauber platziert hat: eine Muschelschale gefüllt mit roter Flüssigkeit, einer kleinen Feuerschale in der möglicherweise der weiße Schleier auszumachen ist, der zum fatalen Hochzeitsgeschenk wird, Pflanzen, Schriftstücken, einem getrockneten Rochen und zwei Kröten beim Geschlechtsakt – als Symbol für die Untreue ihres Gatten - umringt von rotem Garn sowie eine kleine Figur der ägyptischen Gottheit Bastet. Auch hinter Medea ist eine Wandmalerei zu erkennen, die neben Eulen ägyptische Motive wie den Skarabäus aufweist. Die Eule als Zeichen Athens verrät Medeas zukünftigen Wohnsitz wo sie später den König Aigeus heiratet. Mit zerzaustem offenem Haar und verzweifeltem Blick schaut Medea konzentriert am Betrachter vorbei während sie gerade mit der einen Hand etwas dem kleinen Feuer aus einem Kelch beigibt und mit der anderen ihre rote Korallenkette vom Hals zu reißen scheint. Da Korallen in Form von Ketten zum Schutz der Wehrlosen dienen sollen, deutet dieser Akt hier auf den bevorstehenden Tod ihrer eigenen Kinder hin. Mit all den befremdlich wirkenden Kuriositäten und Medeas finsterer und aufgewühlter Ausstrahlung wird dem Betrachter schnell ersichtlich, dass hier wohl 'Hexerei' im Spiel ist.
Mit dieser Liebe zum Detail und der Vielzahl symbolischer Attribute vermag Sandys in seinem Werk Medeas Geschichte nachzuerzählen. Er bringt dem Betrachter ihren unsäglichen Schmerz und den Wahnsinn, der sie zur Verzweiflung treibt, nahe, sodass ein widersprüchliches Gefühl von Mitleid und Furcht zu Medea erzeugt wird und man sich gerne länger mit diesem Werk und der Geschichte dieser vermeintlichen femme fatale auseinandersetzt.
Frederick Sandys - Medea
Öl auf Leinwand, 1868, 61,2 x 45,6 cm, Birmingham Museum & Art Gallery, Birmingham