von Laura Gerstmann
In einem Pariser Café, dem «La Nouvelle Athènes» — Treffpunkt moderner Künstler und intellektuelles Zentrum der Bohème — treffen sich scheinbar zufällig zwei Personen. Schweigsam genehmigen sie sich einen Drink und lassen ihren Blick in die Leere gleiten.
Bei den dargestellten Personen handelt es sich um Freunde Degas. Ellen André und Marcellin Desboutin: sie ist eine erfolgreiche französische Schauspielerin, er Maler, Grafiker und Schriftsteller. Somit wird die erste Vermutung eines zufälligen Treffens hinfällig, da Degas die Szene im Atelier konzipiert hat. Er stellt hier ein Paar dar, dem der Alltag zur Gewohnheit geworden ist. Die glatte, kalte Oberfläche der Tische, die dunklen Schatten der Köpfe und die Tatsache, dass die junge Dame zwischen zwei Tischen sitzt und an einem keinem richtig, stellen die vorherrschende Beziehungslosigkeit dar. Was man hier sieht, ist die Verkörperung des modernen Menschen, für den das Café nicht länger ein Ort des Abenteuers ist.
Das fehlende Miteinander wird vollendet durch die unterschiedlichen Getränke. Ellen genehmigt sich hier ein Glas Absinth. Absinth, bekannt als berüchtigte Pariser Künstlerdroge Ende des 19. Jahrhunderts, war neben dem hohen Alkoholgehalt vor allem wegen der berauschenden Wirkung des enthaltenen Nervengiftes Thujon sehr beliebt. Künstler verwendeten es gerne um ihre Kreativität ein wenig anzuschüren.
Die «Grüne Fee», wie Absinth oft genannt wird, als der einzige Weg dem Augenblicksstumpfsinn zu entkommen? Oder bereits ein zur Gewohnheit gewordenes Getränk, was durch sein Gift, den Verfall des Geistes hier zum Ausdruck bringt?
Alles in allem leistet Degas mit diesem Bild seinen Beitrag zu den präsenten Themen — Zeitgeist, Gesellschaftsproblematik, Ehekonflikt, Leere des Daseins, Versuchung zu Selbstmord — des 19. Jahrhunderts und schaffte somit eines seiner berühmtesten Bilder.
Edgar Degas - Der Absinth
Öl auf Leinwand, 1875/76, 92 x 68,5 cm, Musée d'Orsay in Paris
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