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Jacques-Louis David - Napoleon in seinem Arbeitszimmer

von Alexandra Tuschka

Die Uhr im rechten Hintergrund verrät uns – es ist spät. 4 Uhr 13, um genau zu sein. Napoleon hat sich wohl die ganze Nacht administrativen Aufgaben gewidmet, die Kerzen sind heruntergebrannt und der müde Feldherr hat es nicht geschafft, seine Uniform für dieses Porträt ganz akkurat zu richten. Ein Knopf ist noch offengeblieben, die Strümpfe faltig. Auch die Haare sind ein wenig wild und ungekämmt. Sicherlich hat Napoleon eine lange Nacht hinter sich. Den Federkiel hat er wohl gerade erst aus der Hand gelegt. Die Linke hält das kaiserliche Siegel. Gleich daneben ist das wichtige Werk zu sehen, welches womöglich damit heute versehen wurde: der „Code Napoléon.“ Er gilt bis heute als Grundlage für das geltende Recht in Frankreich.

Trotz der Nachtschicht steht Napoleon in diesem Porträt von Jaques-Louis David, einem der wichtigsten Vertreter des französischen Klassizismus, aufrecht und wachsam. Er blickt den Betrachter an und hat die nach ihm benannte „Napoleongeste“ eingenommen, die rechte Hand in die durch wenige Knöpfe geöffnete Weste gesteckt. Obgleich es zahlreiche Theorien gibt, unter anderem, dass dies eine Erkennungsgeste der Freimaurer sein solle, wird hiermit vermutlich schlichtweg ein kontrolliertes und besonnenes Auftreten ausgedrückt. Denn zu vielen Zeiten galt: wer zu viel mit den Händen gestikuliert, entlarvt sich nicht selten damit als Jemand von niederem Stand.


Auf einer Leinwandhöhe von 204 cm ist der in Wirklichkeit nur 168 cm große Mann sogar etwas überlebensgroß. Damit fällt der sogenannte „Napoleonkomplex“ hier nicht ins Gewicht. Dies ist ein Ausdruck für kleine Männer, die durch große Leistungen ihre Unsicherheiten kompensieren. Rechs neben ihm befindet sich ein prunkvolles Möbelstück. Ein Stuhl, einem Thron ähnlich, mit goldenen Verzierungen und dem „N“ als Initiale. Auch Bienen und Fleur-de-Lys befinden sich hier, sie sind Symbole des französischen Absolutismus. Der goldene Löwe am prunkvollen Schreibtisch auf der anderen Seite macht die Einrichtung komplett. Diese Stilart betitelt man heute als französischen „Empirestil“, der maßgeblich auch von David geprägt wurde.

Die Uniform weist viele Merkmal der kaiserlichen Garde auf - hier die Gruppe der Grenadiere; die goldenen Schulterklappen hingegen weisen Napoleon als General aus. Dazu sind zwei Orden deutlich sichtbar: die Insignie der Ehrenlegion und das Eiserne Kreuz Italiens.


Umgeben wird Napoleon von allerlei symbolträchtigen Utensilien. So hat der Maler das Schwert auf einem Stuhl platziert. Dieses spielt auf die Erfolge als Feldherr an. Weitere Details offenbaren, dass der Dargestellte die militärischen Leistungen des römischen Reiches als Vorbild sah. So handelt es sich bei dem dicken Schinken unter dem Tisch um die „Biographien“ von Plutarch, in welchem die Lebensläufe großer Feldherren beschrieben werden. Die große Schriftrolle daneben ist mit den lateinischen Worten „Dies ist das Werk Louis Davids“ signiert. Obwohl Napoleon kaum wirklich Modell gesessen hat, ist das Portrait sehr gelungen und prägt unser Bild des Staatsmannes bis heute. Vielmehr entstand dieses Gemälde nach vorhandenen Portraits und Studien. Der Auftraggeber war ein britischer Adeliger - der Herzog von Hamilton. Er plante eine ganze Reihe von Porträts großer, europäischer Herrscher. Dies ist das letzte große Portrait Napoleons. 1812, zur Entstehungszeit, befindet dieser sich schon im verheerenden Russlandfeldzug. Nur 3 Jahre später, 1815, wird die Schlacht bei Waterloo sein militärisches Ende besiegeln.


Nachweislich hat David mehrere Anpassungen am Werk vorgenommen. Die gröbste Veränderung betrifft den Hintergrund: wo vorher zwei Säulen den Mann umrahmten, befindet sich jetzt links im Hintergrund eine geschnitzte Tafel und rechts die Uhr mit Ziffernblatt. Nach Napoleons Verbannung 1815 floh David, der dessen blühender Verehrer war und seit dessen Machtergreifung unverblümte Propagandawerke erstellte, nach Brüssel. Dort verstarb er 1825. Seinen Körper ließ David in Brüssel beisetzen, nur sein Herz wurde - höchst symbolträchtig - in Paris beerdigt.

Jaqoues-Louis David - Napoleon in seinem Arbeitszimmer

Öl auf Leinwand, 1812, 204 x 125 cm, National Gallery, Washington D.C.


Jean-Baptiste-Édouard Detaille - Fußgrenadier der kaiserlichen Garde

Öl auf Leinwand, 19. Jahrhundert, Standort unbekannt


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