von Sarah Baur
Briton Rivière (1840–1920), ein Brite mit französischen Wurzeln, war für seine Tiermalerei bekannt, in der er unter anderem auch einen Weg sah, dem einengenden Stadtleben und damit verbundenen sozialen Verpflichtungen zu entgehen. In einigen seiner Werke widmete er sich menschlichen Protagonisten in Kombination mit Scharen von Tieren, entweder mit biblischem oder mythologischem Hintergrund. Homers Circe-Mythos bot dafür den Auftakt. Circe and the Friends of Ulysses ist das erste Historienbild in Rivières Œuvre und wurde 1871 in der Royal Academy in London ausgestellt.
Es zeigt links im Bild eine junge Circe – Tochter des Sonnengottes Helios - in schlichtem, weißem Gewand und mit langem blondem Haar, dass lose zu einem Zopfzusammengebunden ist. Bekannt ist sie vor allem durch eine Erzählung in Homers Odyssee: Odysseus' Irrfahrten verschlagen ihn und seine Gefährten eines Tages an die Ufer von Circes Insel Aiaia, wo sie den Zauberkünsten der Göttin zum Opfer fallen und in Schweine verwandelt werden. Nur Odysseus selbst bleibt verschont, da er erst später auf Circe trifft und sich mit ihr anfreunden kann.
Entspannt sitzt sie auf dem Boden einer Art marmornen Veranda in einem von einer Mauer umgebenem Hof, der von Pflanzen umrankt wird. Mit angehobenem Kopf überblickt Circe von der architektonischen Erhöhung aus eine Herde von Schweinen, die sich vor ihr bis hin zur rechten Seite des querformatigen Gemäldes versammelt. Während die Schweine im Hintergrund schläfrig im Stroh herumliegen, sind die in Circes Nähe hysterisch aufgeweckt, als ob sie wie durch ein magnetisches Feld angezogen und dadurch progressiv in Bewegung kommen würden. Sie rangeln förmlich um den besten Platz und recken eifrig ihre Köpfe über die Stufe zu Circe. Eines von ihnen hat sogar den Saum des Kleides zu fassen bekommen. Die Blicke der vorderen Tiere mit weit aufgerissenen Augen scheinen wahnsinnig, die der hinteren wie in Trance. Eines der Schweine streckt den Kopf nach oben, imitiert Circes Haltung, fast wie vor Bewunderung jaulend. Diese lässt sich durch das Getummel der aufgebrachten Tiere nicht aus der Ruhe bringen, sondern erfreut sich gewissermaßen an der uneingeschränkten Aufmerksamkeit und dem Wissen, dass die Kontrolle über die Tiere in ihrer Macht liegt. Ein Instrument dieser Macht, nämlich der Zauberstab, liegt griffbereit hinter ihr. Vom dunklen Gebüsch in der oberen rechten Bildecke bildet Circe, deren weites weißes Gewand dem hellsten Part des Gemäldes entspricht, diagonal das leuchtende Gegenstück. Die helle harmonische Farbgebung vermittelt eine idyllische Natürlichkeit, die sich der ländlichen Gestaltung anpasst.
In Circe and the Friends of Ulysses wird ersichtlich, dass Rivière es verstand, Tieren eine gewisse Menschlichkeit zu verleihen. Vor allem in Bezug auf den homerischen Text, war die Andeutung des menschlichen Verstandes, den diese besonderen Schweine innehatten, essenziell. Der Künstler scheute keine Mühen, um die Darstellung der Schweine besonders realistisch und detailgetreu umsetzen zu können. Im Garten seines damaligen Wohnsitzes in Kent ließ er sich Ställe bauen und hielt dort drei Schweine, die er in einem Interview für das Strand Magazine als „remarkably good sitters“, „very easy to manage“ und „quite sociable“ beschrieb. Während die Schweine für ihn in Kent Modell stehen durften, entstand die Figur der Circe selbst in seinem Studio in London.
Zwar befinden die Schweine sich kompositorisch im Mittelpunkt der Darstellung, doch lenkt deren eigene uneingeschränkte Aufmerksamkeit den Blick unwillkürlich zu Circe selbst. Auch die Malweise unterstreicht Circes Präsenz. Während die detaillierte Ausarbeitung Circes, der sie nahe umgebenden Schweine und das Figurenfries in der Mauer, mit Sorgfalt realistisch wiedergegeben sind, hat Rivière die Tiere und die Umgebung, die weiter von ihr entfernt liegen, nur skizzenhaft ausgeführt. Die flächige Pinselführung im Hintergrund kontrastiert ebenfalls mit der präzisen Wiedergabe Circes und der Schweine im Vordergrund, bei denen sogar die einzelnen Borsten deutlich zu erkennen sind. Dadurch wird der Fokus des Betrachters umso mehr auf Circe gelenkt.
Rivière wählte für seine Illustration des Mythos' die Szene, nachdem Circe die Verwandlung der Gefährten vollzogen und gerade gefüttert hat. Dies lässt sich aus der fast leeren Schale im rechten Bildvordergrund schließen, in der sich nur noch wenige Körner befinden und die teils schon durch das Gewühle der Tiere mit Stroh bedeckt ist. Rivière hebt Circes mystische Kraft sichtbar hervor. Die Hysterie, die ihre bloße Präsenz unter den Schweinen entfacht, deutet darauf hin, dass sich hinter der scheinbar einfachen jungen Frau mehr verbergen muss. Anders als ein Großteil der Künstler, die sich Circe widmeten und sie als femme fatale von imposanter Göttlichkeit darstellten, hat Rivière sie hier auf neuartige Weise äußerst natürlich und ohne offensichtliche sexuelle Reize inszeniert. Jegliche weibliche Körperformen sind durch ein dichtes umhüllendes Gewand verborgen. Durch ihre abgewandte Haltung nimmt sie auch keinen Kontakt mit dem Betrachter auf. Statt verführerischer griechischer Göttin sieht man vielmehr eine junge Schweinehirtin.
Das Gemälde wurde bereits zu seinen Lebzeiten als Durchbruch angesehen, der Rivière mit den angesehensten Künstlern der Zeit gleichstellte. Die zeitgenössische Kritik fiel daher im Allgemeinen positiv aus. Zwar wurde bei wenigen Kritiken konstatiert, dass die Schweineherde nicht unbedingt ein sehr ansehnliches Motiv wäre, wie es in einem Artikel aus dem Art Journal von 1878 hieß, gleichzeitig wurde aber im selben Artikel die künstlerische Ausarbeitung der Tiere als herausragendes Merkmal beschrieben. Ein anderer Kritiker bezeichnete es als eines der humorvollsten Gemälde, das er seit langem gesehen hat.
In den Kritiken schien der mythologische und homerische Hintergrund von wenig Belang. Hier stand die künstlerische Raffinesse und der humorvolle Aspekt der Darstellung der Schweine im Bild im Vordergrund und ließ die Beziehung der Tiere zu Circe ungeachtet. Zweifelllos ist die malerische Ausführung der Schweine von unverkennbarer Qualität, aber gerade die Originalität der Inszenierung von diesem Mythos zeichnet sich als spezielles Charakteristikum aus. Rivière wählte mit seiner rustikal natürlichen Darstellung mit genrehaftem Charakter eine besonders ungewöhnliche Veranschaulichung des homerischen Stoffes. Sein Werk vereinte ländliche Idylle und antiken Epos und bot den willkommenen Kontrast zu Modernisierung und Industrialisierung.
Briton Rivière - Circe and the Friends of Ulysses
Öl auf Leinwand, 1871, Öl auf Leinwand, 68,5 x 130 cm, Privatsammlung
Weiterführende Literatur:
DAFFORNE, James: British Artists. Briton Rivère, in: The Art Journal 1878, Vol. 4, S. 34
HALL, Edith: The Return of Ulysses. A Cultural History of Homer's Odyssey, London /
New York, 2012
HOW, Harry: Illustrated Interviews. XLVI. Mr. Briton Riviere, R.A., in: The Strand
Magazine, vol. 11, London, 1896.
MARDALL, Poppy: Briton Riviere (1840-1920) and the unfixed body, in: The British Art
Journal, Vol. 8, Nr. 1, London, 2007, S. 57-62.