von Alexandra Tuschka
In einem nur spärlich eingerichteten Innenraum werden wir Zeuge einer intimen Szene. Das Neugeborene in der Bildmitte wird gerade von den Ammen in weiße Tücher gewickelt und abgetrocknet. Die frisch gebackene Mutter liegt im Hintergrund erschöpft im Bett. Der Vater, ein Mann mit schütterem Haar, steht links im Bild und betrachtet das Kind. Nicht nur der helle Nimbus zeichnet dieses als heilig aus, auch die Engel, die offenbar einen Blick auf das Kind werfen wollen, und eine weitere Lichtquelle bieten, unterstreichen seine göttliche Herkunft. Ein Hündchen rechts auf dem Stuhl ist faul, aber hebt immerhin den Kopf und schaut herüber.
Die hier dargestellte Szene bezieht sich auf das Lukasevangelium 1,5 - 25. Hier wird beschrieben, dass dem gealterten Priester Zacharias ein Engel erscheint, der ihm und seiner - ebenso gealterten - Frau Elisabeth ein Kind, einen Jungen, prophezeit. Sie sollen ihn "Johannes" nennen (hebr. "Gott ist gnädig"). Damit ist die Geburt Johannes d. Täufers gemeint. Bisher sind beide ungewollt kinderlos geblieben. Zacharias kann dies nicht glauben, bittet um ein Zeichen. Der Engel lässt ihn verstummen. Nachdem das Kind geboren wurde, möchte Elisabeth ihm den Namen "Johannes" geben, obgleich sie von diesem Namen durch ihren Mann nicht erfahren konnte.
Freilich sehen wir hier nicht die Geburt des Kindes, sondern sein erstes Bad. Diese Szene wird zwar nicht im Quelltext erwähnt, ist aber bis heute ein wichtiger und in vielen Kulturen ritueller Akt kurz nach der Geburt. In diesem Fall wurde das Kind aus der großen Kupferschüssel auf den Schoß einer Amme gehoben. Drei weitere begleiten die Waschung mit vielen weißen Tüchern. Die Farbe Weiß mag dabei für die Reinheit des Protagonisten stehen. Das gesamte Bildthema des Bades verweist auch symbolisch auf die spätere Rolle des Jungen als Täufer. Dagegen kann das stark eingesetzte Rot als Märtyrerfarbe verstanden werden, die auf den Tod des Johannes hindeutet.
Die Geburt Johannes des Täufers wird nicht nur in der Bibel mit einem besonderen Stellenwert versehen, denn mit ihr beginnt das Lukasevangelium; sondern es ist auch einer der drei Geburtstage, die überhaupt Platz im biblischen Kalender gefunden haben. In diesem Fall feiern gläubige Christen den Geburtstag Johannes am 24. Juni. Nur Maria und Jesus wird ansonsten diese Ehre zuteil.
Murillo schafft es, das heilige Thema in eine Alltagsszene zu versetzen. Nicht nur die Ammen haben bäuerliches Aussehen, vor allem die Erschöpfung der Mutter Elisabeth vermittelt einen allzu lebensnahen Eindruck. Zum Zeitpunkt der Entstehung um 1660 war der Heimatort des Malers, Sevilla, von zahlreichen Unglücken heimgesucht worden. Die Wahl dieses Bildthemas mag mit einem Hoffnungsschimmer verbunden gewesen sein und landete vermutlich in einer der vielen Kirchen oder Klöstern der Umgebung.
Beim Vergleichswerk von Artemisia Gentileschi sehen wir eine ähnlich realitätsnahe Szene, mit mehreren Ammen, die sich liebevoll um das Neugeborene kümmern. In diesem Fall wurde auf weitere Hinweise, die Heiligkeit der Szene zu zeigen, verzichtet. Das Bildthema wird aber zusätzlich durch die kleine Zwischenszene links deutlich. Hier schreibt Zacharias, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht wieder sprechen kann, dass er mit dem Namen "Johannes" für sein Kind einverstanden ist, auf eine kleine Tafel. Mit dieser Geste erlangt er schließlich seine Sprache wieder zurück.
Bartolomé-Esteban Murillo - Die Geburt Johannes des Täufers
Öl auf Leinwand, ca. 1655, 145 x 185 cm, Norton Simon Museum, USA
Artemisia Gentileschi - Die Geburt Johannes des Täufers
Öl auf Leinwand, 1634, 184 cm × 258 cm, Museo del Prado, Madrid